Die Seltsamen (German Edition)
hatte der Kobold, den Mr. Jelliby vorhin gesehen hatte, sie abgeschlossen. Er machte ein paar Schritte hinein und lauschte. Das ferne Prasseln des Regens war verstummt. Nicht ein Geräusch war zu hören. Er spürte lediglich eine leichte Vibration, ein kaum wahrnehmbares Summen, das aus dem Boden und der Wandvertäfelung kam und ihn innen an der Stirn kitzelte.
Er ging den Korridor entlang und strich mit der Hand über jede Tür, an der er vorbeikam. Das Holz der letzten Tür fühlte sich warm an. In dem Zimmer dahinter brannte bestimmt ein Feuer. Er legte ein Ohr gegen die Tür und lauschte. Auf der anderen Seite hörte er einen dumpfen Schlag, als wäre ein großer Gegenstand auf den Boden gefallen. War die Dame hier drin? War sie es, die gestürzt war? Du meine Güte! Angenommen, sie war von einem Stuhl gerutscht, während sie die Hand nach etwas ausstreckte, und lag jetzt verletzt am Boden? Er drehte an dem Knauf. Die Tür war verschlossen. Er packte den Knauf mit beiden Händen und rüttelte daran. Von jenseits der Tür hörte er wieder ein Geräusch, ein Keuchen und etwas, das wie ein Kratzen klang. Er begann, dagegen zu hämmern. Ohnmächtig war sie offenbar nicht. Aber taub vielleicht? Oder stumm? Wahrscheinlich sollte er besser einen Diener holen. Aber bevor er das ernstlich in Erwägung ziehen konnte, krachte es gewaltig, und die Tür lag geborsten zu seinen Füßen. In dem Zimmer brannte ein hell loderndes Kaminfeuer, und dort drüben stand ein Schreibtisch, in den Kröten geschnitzt waren. Niemand befand sich im Zimmer. Weit, weit weg glaubte er, einen Schrei zu hören. So weit weg, dass er nicht wusste, ob er sich das nur eingebildet hatte.
Und dann stand der Feenbutler am Ende des Korridors. Sein grünes Auge funkelte, und die Apparatur vor seiner rechten Gesichtshälfte ratterte wie verrückt. »Was geht hier vor?«, rief er aufgebracht. »Was haben Sie getan?« Er rannte los, die langen Arme vor sich ausgestreckt wie ein grässliches Insekt.
»Ach du liebe Zeit«, stammelte Mr. Jelliby. »Verzeihen Sie, ich wollte nicht…«
»Mr. Lickerish !«, kreischte der Butler. »Sathir, el eguliem pak!« Beim letzten Wort wurde seine Stimme so furchtbar schrill, dass Mr. Jelliby zusammenzuckte. Irgendwo im Haus öffnete sich erst eine Tür und dann noch eine. Schritte hallten durch die Gänge und auf der Treppe, nicht laut, aber gleichmäßig. Sie kamen rasch näher.
Ach herrje, dachte Mr. Jelliby.
Der Feenbutler hatte ihn inzwischen erreicht und packte ihn am Arm. Sein Gesicht kam Mr. Jelliby so nahe, dass er seinen fauligen Atem riechen konnte.
»Gehen Sie sofort da weg!«, fauchte der Butler. »Kommen Sie zurück ins Haus.« Woraufhin er Mr. Jelliby praktisch den Korridor entlangzerrte, aus dem gleißenden Licht der Gaslampen in die fast schon greifbare Schwärze dahinter. Jemand wartete dort auf sie. Eine ganze Gruppe von Jemands. Mr. Throgmorton und Mr. Lumbidule und, mit weit aufgerissenen Augen, Mr. Lickerish, und im Halbdunkel daneben ein wirrer Haufen niederer Elfen, die einander immer wieder »Pak, pak« zuflüsterten.
»Das war… das war gar nicht das Wasserklosett«, sagte Mr. Jelliby leise.
Mr. Throgmorton lachte bellend. »Ach, was Sie nicht sagen! Und Sie haben trotzdem die Tür eingeschlagen. Mr. Jelliby, Aborttüren werden, so meine ich, aus gutem Grund verriegelt. Zum Beispiel, wenn sie benutzt werden, wenn sie nicht benutzt werden sollen oder wenn es sich gar nicht um einen Abort handelt.«
Mr. Throgmorton fing wieder an zu lachen, und seine feisten Lippen zitterten. Mr. Lumbidule stimmte mit ein. Die Feenwesen jedoch schauten nur mit ausdrucksloser Miene zu.
Plötzlich klatschte Mr. Lickerish in die Hände, ein helles, durchdringendes Geräusch. Den beiden Politikern blieb das Glucksen im Halse stecken.
Mr. Lickerish wandte sich an Mr. Jelliby. »Sie gehen jetzt besser«, sagte er in einem Tonfall, bei dem Mr. Jelliby sich am liebsten ganz klein gemacht hätte, um in den Ritzen zwischen den Holzdielen zu verschwinden.
Im Nachhinein konnte sich Mr. Jelliby nicht mehr erinnern, wie er in das Vestibül mit den Meerjungfern zurückgelangt war. Er wusste nur noch, dass er gelaufen war, endlose Korridore entlang, und zwar mit gesenktem Kopf, um sein hochrotes Gesicht zu verbergen. Und dann stand er wieder am Ausgang, und der Butler öffnete ihm die Tür. Aber bevor er in das elende Großstadtwetter hinausstolperte, hatte er
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