Die Seltsamen (German Edition)
Korridor wie in einem Eisenbahnwaggon. Mr. Jelliby blieb wie angewurzelt stehen und starrte hinein. Wie hell erleuchtet er war! Gaslaternen zischelten an den Wänden, sodass es aussah, als wäre ein Tunnel aus leuchtendem Gold in die Finsternis des Hauses getrieben worden. Eine Frau hastete den Korridor entlang. Sie hatte ihm den Rücken zugewandt, und in ihrer Eile schien sie wie ein Vogel zu flattern – ihr violetter Rock bauschte sich wie Flügel hinter ihr auf. Dann war der Butler an seiner Seite und trieb ihn eine Wendeltreppe hinauf, und Mr. Jelliby war wieder von Finsternis umgeben.
»Verzeihen Sie?«, sagte er und löste sich aus dem Griff der Kreatur. »Verzeihen Sie, Butler? Hat Mr. Lickerish eine Frau?«
»Eine Frau?«, erwiderte der Butler mit seiner klebrigen, kränklichen Stimme. »Wozu sollte er eine Frau haben wollen?«
Mr. Jelliby runzelte die Stirn. »Na ja… ich weiß nicht, aber ich habe da…«
»Hier wären wir. Die grüne Bibliothek. Der Tee wird umgehend serviert.«
Sie waren vor einer hohen, spitz zulaufenden Tür stehengeblieben, die aus grünen Glasscheiben zusammengesetzt war – Scheiben, die wie ineinanderverschlungene Aale, Seetang und Wasserschlangen geformt waren.
Der Butler klopfte mit einem langen, gelblichen Fingernagel dagegen. »Mi Sathir?«, winselte er. » Kath eccis melar. Arthur Jelliby ist hier.« Dann drehte er sich um und verschmolz mit der Finsternis.
Die Tür öffnete sich lautlos. Mr. Jelliby dachte schon, dass der Justizminister ihn begrüßen würde, aber nichts geschah. Also ging er hinein. Vor ihm erstreckte sich ein äußerst langes Zimmer. Eine Bibliothek, ganz ohne Frage, aber besonders grün sah sie nicht aus. Einige Lampen waren angezündet worden und ließen den Raum im Vergleich zum Rest des Hauses geradezu einladend erscheinen. Überall waren Teppiche ausgelegt, und darauf standen Sessel und kleine Tische, und jeder Zentimeter Wand war bedeckt mit… Oh. Die Bücher waren grün. Alle. Es gab Bücher in den unterschiedlichsten Farbtönen und Größen, und im Halbdunkel hatten sie wie ganz normale Bücher ausgesehen, aber nachdem sich Mr. Jellibys Augen nun an das gedämpfte Licht gewöhnt hatten, erkannte er, dass es sich tatsächlich um eine Bibliothek mit lauter grünen Büchern handelte. Er ging ein paar Schritte in den Raum hinein und schüttelte bedächtig den Kopf. Dabei fragte er sich, ob es in diesem Haus wohl auch eine schwarze Bibliothek mit Schwarzbüchern und eine rosafarbene Bibliothek für eine ganz bestimmte Klientel gab.
Am hinteren Ende des Zimmers zeichneten sich die Umrisse dreier Herren ab, die vor einem Kaminfeuer saßen.
»Guten Abend, junger Mann«, rief der Hausherr, als er sich ihnen näherte. Er rief es sehr leise, falls das möglich ist, und seiner Stimme fehlte jegliche Wärme. Mr. Lickerish hatte offenbar nicht vor, die Tatsache zu überspielen, dass sein Gast ihm nicht willkommen war.
»Guten Abend, Herr Justizminister«, sagte Mr. Jelliby und zwang sich zu einem halbherzigen Lächeln. »Mr. Lumbidule, Mr. Throgmorton. Welch Vergnügen!« Er verbeugte sich vor den beiden Herren, was sie mit einem Nicken quittierten. Allem Anschein nach wollten auch sie ihm nichts vormachen, schließlich gehörten sie gegnerischen Parteien an. Hastig setzte sich Mr. Jelliby in den freien Sessel.
Auf einem niedrigen Tisch war etwas zu essen angerichtet. Der Feenbutler schwebte mit einer silbernen Teekanne herbei, und alles wirkte ausgesprochen seriös und englisch. Aber es schmeckte nicht englisch. Es schmeckte nicht einmal französisch. Was wie ein normales Sandwich mit Leberpastete aussah, schmeckte auffallend nach Herbstwind. Der Tee roch nach Marienkäfer, und die Zitronentörtchen schmeckten auf eine Art und Weise bitter, die nichts mit Zitrone zu tun hatte. Zu allem Übel standen beiderseits der kleinen Versammlung zwei prächtige Parfumbrenner aus Onyx und spien grünlichen Rauch aus. Dieser roch so widerlich süß, dass Mr. Jelliby an überreifes Obst, Schimmel und summende Fliegen denken musste. Fast wie der Geruch im Versammlungsraum des Staatsrats, nachdem Mr. Lickerish seine Finger in die Tasche seines Wamses geschoben hatte.
Mr. Jelliby legte sein Stück Zitronentörtchen beiseite und warf den anderen beiden Gentlemen einen verstohlenen Blick zu. Sie schienen sich nicht im Mindesten unwohl zu fühlen, sondern nippten an ihrem Marienkäfertee, lächelten und nickten, als wollten
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