Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Seltsamen (German Edition)

Die Seltsamen (German Edition)

Titel: Die Seltsamen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bachmann
Vom Netzwerk:
vor ihm aufgetaucht und hätte ihn gebeten, seinen Namen mit Blut in ein schwarzes Buch zu schreiben, hätte er das getan, nur um wieder auf das Kissen sinken und schlafen zu dürfen.
    Seine Finger berührten etwas Glattes und Kaltes zwischen den Laken. Das war keine Matratzenfeder. Was um Himmels willen…? Es war nicht einmal aus Metall.
    Mit einem Ächzen erhob er sich und zündete die Nachttischlampe an. Was ihn da geweckt hatte, war ein Stück Holz. Es war glatt poliert und schien unter dem Bett emporgewachsen zu sein – es hatte die Matratze und die Steppdecke durchstoßen und sich ihm schließlich in den Rücken gebohrt.
    Mr.   Jelliby starrte es an. Sein noch gänzlich vom Schlaf benebelter Verstand stolperte umher, ohne etwas zu begreifen. Schwerfällig sank er auf ein Knie und spähte unters Bett. Es war ein riesiges altes Himmelbett aus dunklem Holz, und die Pfosten bildeten einen Hain aus Trauerweiden, deren Zweige sich zu einem Baldachin verflochten. Jetzt, wo er darüber nachdachte, sah das Holz zwischen den Laken aus wie…
    Er erstarrte. Etwas wickelte sich um sein Fußgelenk. Mit einem gedämpften Aufschrei zog er das Bein zu sich heran. Ein morsches Knacken, wie wenn ein Streichholz abbricht. Er sah nach unten, und neben seinem Fuß lag noch ein Aststück. Reglos.
    »Ophelia«, flüsterte er in die Finsternis hinein. »Ophelia, ich glaube, das solltest du dir an…«
    Doch noch während er sprach, bäumte sich hinter ihm ein weiterer Ast auf, legte sich ihm um den Hals und zog sich mit einer blitzschnellen Bewegung zusammen. Die Lampe fiel Mr.   Jelliby aus der Hand, krachte auf den Boden und erlosch. Die Augen traten ihm aus den Höhlen. Röchelnd fasste er sich an die Gurgel.
    »Ophelia!«, krächzte er und riss das Holz von seinem Hals herunter. Der Angriff der Äste wurde immer ungestümer, sie barsten links und rechts aus den Bettpfosten und krochen auf ihn zu. »Ophelia!«
    Plötzlich begann der Teppich, auf dem er kniete, Wellen zu schlagen, und schoss unter ihm hervor. Wie ein zehn Tonnen schwerer Stein schlug Mr.   Jelliby auf dem Boden auf. Der Teppich wendete, flog auf ihn zu und legte sich um ihn. Mr.   Jelliby strampelte sich frei und begann verzweifelt, auf die Zimmertür zuzukriechen.
    Es gelang ihm, den Korridor zu erreichen, und dort wäre er liegen geblieben, doch die Dielenbretter schnellten nach oben und ihm ins Kreuz und gegen die Arme. Er hastete die Treppe hinab und blieb zitternd in der Eingangshalle stehen. Bestimmt war das alles nur ein Traum. Es konnte nur ein Traum sein.
    Mr.   Jelliby sah sich um. Alles war ruhig.
    Er ging in die Bibliothek und griff nach einer Karaffe mit Brandy. In ein paar Stunden werde ich aufwachen. Der Teppich und das Bett werden wieder genau so sein, wie sie sein sollen, und ich kann…
    Hinter ihm knarrte Holz. Er fuhr herum, gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie ein klauenfüßiger Tisch durch das Zimmer auf ihn zugesprungen kam. Das Möbelstück machte einen Satz und erwischte ihn genau vor der Brust. Er wurde samt Karaffe nach hinten geschleudert und knallte gegen die Wand. Die Karaffe sprang in tausend Stücke, Brandy spritzte auf die Tapete. Mr.   Jelliby kämpfte keuchend mit dem Tisch, viel zu verblüfft, um auch nur zu schreien.
    Das Entermesser sah er Sekunden, bevor es ihn erreichte. Es stammte aus dem Wappen über dem Kamin und schoss mit der Spitze voran auf ihn zu. Mr.   Jelliby riss den Tisch hoch wie ein Schild, aber das Messer glitt hindurch, pfiff an seiner Wange vorbei und bohrte sich nur Zentimeter von seinem linken Auge entfernt in die Wand.
    »Brahms!«, schrie er. »Ophelia! Wacht auf! Wacht auf! « Er schlüpfte unter dem Tisch hindurch – sollte der doch schauen, wie er mit dem Entermesser fertig wurde – und hinkte Richtung Vestibül. Im Obergeschoss knallte eine Tür, gefolgt von Stimmengewirr und Schritten, die über die Dielen eilten.
    Bis Mr.   Jelliby die Haustür erreichte, hatte diese bereits ein Eigenleben entwickelt. Die Mahagoni-Löwen, die in den Rahmen geschnitzt waren, schnappten nach ihm und versuchten, sich von den Balken loszureißen. Er griff nach dem Türknauf, doch der wand sich in seiner Hand. Mr.   Jelliby ließ ihn los und stieß einen Schrei aus. Eine Messingeidechse sprang ihm ins Gesicht; ihr Schwanz erwischte ihn an der Wange und ließ einen blutigen Striemen zurück. Von der Decke schraubte sich eine Gipsranke herab und ihm in den Mund hinein. Er biss fest zu, und sie platzte

Weitere Kostenlose Bücher