Die Seltsamen (German Edition)
Da hast du wohl Glück gehabt, sonst würde ich dich bestimmt erwürgen.«
Unaufhaltsam kamen die Kreaturen näher; ihre Füße huschten über das Gras. Hinter sich im Haus hörte Mr. Jelliby die Möbel, das Klopfen von Holz und Marmor und ein blechernes Rasseln. Nur noch wenige Augenblicke, und er war gänzlich umstellt.
Er atmete tief durch und rannte direkt auf die Statuen zu. Der Fratzendämon richtete sich auf und bleckte die Zähne. Mr. Jelliby sprang, erwischte den Dämon mit dem Fuß im Maul, setzte über ihn hinweg und landete im Gras. Der Dämon stieß ein heiseres Brüllen aus, aber er war zu schwer und konnte sich bei weitem nicht schnell genug umdrehen. Mr. Jelliby erreichte die Gartenmauer und kletterte daran hinauf. Seine Zehen fanden auf einem Rankgitter Halt, seine Finger gruben sich in den uralten Efeu.
Oben angekommen, drehte er sich um und blickte in den Garten hinab.
Aller Augen waren auf ihn gerichtet. Nach kurzem Zögern löste sich die Venus von den anderen, trat an den Fuß der Mauer und starrte mit leerem Blick zu ihm empor.
»Dies ist dein Zuhause«, sagte sie. »Irgendwann musst du hierher zurückkommen. Und dann werden wir dir all das Unrecht vergelten, das du uns angetan hast.«
»Ich habe doch überhaupt nichts getan!«, rief Mr. Jelliby. »Ich habe dich nicht ohne Arme gemeißelt. Ich habe keine Nägel in die Dielen gehämmert oder falsche Bilder gemalt!« Aber die Venus hörte ihm gar nicht zu, sondern starrte ihn einfach nur an und leierte all die Missetaten herunter, die er ihrer Meinung nach zu verantworten hatte.
Mr. Jelliby stieß einen Fluch aus und rutschte auf der anderen Seite von der Mauer. Eine schmale Gasse führte an ihr entlang, eine gewundene Kluft zwischen den anderen Gärten. Sie war menschenleer. Schmiedeeiserne Tore und Türen, von denen die grüne Farbe abblätterte, gingen in regelmäßigen Abständen davon ab. Es hatte geregnet, und der Mond schien hell auf das glitschige Pflaster und verwandelte es in einen Pfad aus kaltem Silber. Wasser tropfte hallend von Zweigen und Abflussrohren.
Mr. Jelliby blickte zum Haus zurück, das düster hinter der Gartenmauer ausharrte. In einem Fenster im Obergeschoss glühte eine Lampe auf. Hinter dem Glas waren gedämpfte Stimmen zu hören. Bald würde mit lautem Gebimmel die Polizei eintreffen. Sie würde nichts finden. Nichts außer einem Trauerweidenbett, zerfetzten Porträts, zerkratzten Tischen – und alles völlig reglos.
Mr. Jelliby schlug den Kragen seines Morgenrocks hoch und eilte in die Nacht hinaus.
DREIZEHNTES KAPITEL
Jenseits der Gasse
Bartholomew wachte nicht auf, weil er gar nicht richtig eingeschlafen war. Erst war ihm der Kohleeimer entglitten, dann hatte er ihn über den Küchenboden scheppern hören. Ein heller, durchdringender Ton hatte sich in seinem Kopf breitgemacht. Außerdem war er gestürzt. Ein dumpfer Schmerz war ihm in den Arm gefahren, und mit seinen Augen war etwas passiert, denn er konnte wieder sehen, wenn auch nur verschwommen. Der Lumpenkerl stand am Fenster, ein dunkler Fleck, der sich vor dem Licht abzeichnete, mal mehr, mal weniger deutlich. Dann war das Fenster schwarz geworden, und die Gasse draußen hatte sich in ein einziges Flügelmeer verwandelt. All das war Bartholomew jedoch so weit weg erschienen, als hätte er sich irgendwo tief in seinem steifen, schmerzenden Körper zusammengerollt, und was draußen in der Welt geschah, ging ihn eigentlich gar nichts mehr an.
Er hatte das Gefühl, jahrelang so dazuliegen. Dabei stellte er sich vor, wie sich Staub auf ihm ablagerte und wie die Krähengasse um ihn herum in Trümmer fiel. Aber irgendwann spürte er, dass er wieder emporschwebte, dass er seinen Körper füllte wie Wasser, das eine Wagenspur ausfüllt. Draußen war es hell. Sonnenlicht fiel durch die schmutzigen Scheiben des Küchenfensters und brannte ihm in den Augen. Er setzte sich auf und wischte sich mit dem Handrücken über die Nase.
Hettie ist fort. Weiter konnte er nicht denken. Die pflaumenfarbene Dame war gekommen und hatte sie verschleppt, genau wie schon neun andere vor ihr. Genau wie meinen Freund. Sie hatte es gar nicht auf mich abgesehen. Ich bin nur ein törichter kleiner Junge, der sich der Gefahr erst bewusst wurde, als es schon zu spät war, und der die ganze Zeit glaubte, alles würde sich nur um ihn drehen und darum, dass er nach London gehen und wichtig sein würde. Und jetzt ist Hettie fort.
Bartholomew zog sich mit Hilfe
Weitere Kostenlose Bücher