Die Seltsamen (German Edition)
kann es dauern, einen neuen Metallvogel zu bauen? Er hat die Pläne und die Route und… Da wir gerade davon reden: Hast du ihn erledigt? Arthur Jelliby?«
»Natürlich. Er ist längst tot. Wahrscheinlich haben ihn seine eigenen Bettlaken erwürgt, weil es ihnen nicht gefiel, mit einem glühend heißen Eisen geplättet oder in Seifenlauge ertränkt zu werden. Fast hat es mir leidgetan, so spät in der Nacht einen Malundis-Lavriel -Spruch zu vergeuden, denn da ist niemand wach, der es zu würdigen wüsste. Auf einer verkehrsreichen Straße dagegen, am helllichten Tag, wäre das Ergebnis geradezu spektakulär… Aber ich schweife ab. Wir haben ein Problem.« Die pflaumenfarbene Dame trat beiseite, und zum Vorschein kam ein kleines Mädchen, das sich auf dem Boden zusammengerollt hatte. Die Dame reckte einen pechschwarzen Zeh unter ihrem Rock hervor und stieß ihn dem Mädchen in die Rippen. »Wach auf, du hässliches Ding. Wach auf!«
Hettie hob schläfrig den Kopf. Einen kurzen Moment lang schaute sie sich mit leerem Blick um, als glaubte sie, sie wäre noch immer zu Hause, in Sicherheit. Dann setzte sie sich auf. Mit zusammengekniffenem Mund starrte sie die Dame und Mr. Lickerish an, erst die eine, dann den anderen.
»Zieh die Ärmel hoch, Halbblut. Zeig es ihm.«
Sie gehorchte, ohne jedoch den wütenden Blick zu senken. Der schmutzige Stoff wurde hochgerollt, und zum Vorschein kam ein Muster aus Linien, rote Ranken, die sich um ihre dünnen weißen Arme schlängelten.
»Und?«, wollte der Hochelf wissen. »Was ist damit? Für mich sieht sie fast genauso erbärmlich aus wie die anderen neun.«
Eine Zunge schnalzte verärgert. Es war nicht die Zunge der Dame, nicht die Zunge zwischen den vollen roten Lippen. Es war eine lange, rauhe, mit Widerhaken bedeckte Zunge. »Lies es«, knurrte die Stimme.
Der Hochelf beugte sich über den Schreibtisch. Hielt inne. Eine makellose Augenbraue hob sich. »Elf? Warum ist sie mit der Zahl elf gezeichnet?«
»Genau das ist das Problem. Ich weiß es nicht. Ich habe den Zauberspruch genau so ausgeführt, wie du es befohlen hast – Skasrit Sylphii. Alle Mischlinge wurden damit gebrandmarkt, während sie in das Meer der Flügel eintauchten. Diese hier müsste eigentlich die Nummer zehn sein.«
Mr. Lickerish schnipste mit dem Finger und ließ sich auf seinen Stuhl zurücksinken. »Na schön. Dann ist eben die Zählung durcheinandergeraten. Magie ist nur so klug wie der, der sie anwendet, und du bist bei weitem nicht so klug, wie du meinst.«
»An meiner Magie gibt es nichts auszusetzen, Sathir. Wenigstens bin ich zu dergleichen noch in der Lage. Du dagegen weißt nichts mehr von den alten Sitten. Du kaufst deine Zaubersprüche und Zaubertränke wie jeder andere verwöhnte Geck auch.« An dieser Stelle hätte die Stimme einhalten sollen, aber sie fuhr fort, wurde immer provozierender. »Oder du verzichtest ganz darauf. Automaten sind schließlich so viel praktischer. Mechanische Vögel und Dampfrosse.« Ein Kichern hallte durch das Zimmer. »Wie die richtigen Menschen.«
»Schweig still!«, fauchte Mr. Lickerish. »Schließlich bin ich es, der euch retten wird. Der uns aus diesem Käfig von einem Land befreien wird. Und du wirst genauso deinen Anteil dazu beitragen. – Also…«, sagte er, plötzlich wieder gelassen, »wenn der Zauberspruch wirkt, woran liegt es dann?«
»Ich sehe nur eine Möglichkeit: Irgendjemand anderes ist in den Feenkreis getreten.«
Von einem Augenblick auf den nächsten herrschte Totenstille. Nur das leise Summen war noch zu hören, ein dumpfes Pochen irgendwo in den Wänden.
Die Finger der Dame begannen zu zucken wie Spinnenbeine, wenn der Spinnenleib zerquetscht wird.
»Irgendjemand«, wiederholte die Stimme, »nach Nummer neun und vor dieser hier. Die Magie schwindet allmählich. Wenn jemand aus Versehen hineingetreten ist, dann vielleicht… Nein. Nein, das ist unmöglich. Die Sylphen hätten ihn auf der Stelle verschlungen, bis auf die Knochen abgenagt. Ach, das ergibt einfach keinen Sinn! Nur ein Mischling wäre gezeichnet worden!«
Mr. Lickerish starrte den Hinterkopf der Dame an. Seine schwarzen Augen waren völlig ausdruckslos.
Die Stimme sprach hastig weiter. »Das ist die einzige Möglichkeit. Die Magie hat nicht falsch gezählt. An dem Spruch gibt es nichts auszusetzen. Elf Mischlinge sind in dieses Zimmer übergetreten. Neun haben den Tod gefunden. Ein Mischlingskind – dieses hier, das versichere ich dir« –
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