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Die Seltsamen (German Edition)

Die Seltsamen (German Edition)

Titel: Die Seltsamen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bachmann
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Guinee in die Büchse an seinem Gürtel. Selbst auf Zehenspitzen konnte er sie kaum erreichen. Die Guinee landete mit einem Klonk auf dem Boden der Büchse. Ansonsten waren keine Münzen darin.
    Der Troll grunzte und blähte die Nüstern, und Mr.   Jelliby war sich sicher, dass er ihn gleich in die Sänfte heben würde. Das tat er nicht. Mr.   Jelliby wartete. Dann entdeckte er die Holzleiter, die an der Außenseite der Beine befestigt war, und kletterte ohne fremde Hilfe in die Sänfte hinauf.
    Der Troll setzte sich schwerfällig in Bewegung. Mr.   Jelliby ließ sich auf einem Haufen streng riechender Kissen nieder und vermied es geflissentlich, einen Blick auf seine Umgebung zu werfen, während sie durch die Stadt hinabstiegen.
    Unten angekommen, blieb der Troll unvermittelt stehen. Mr.   Jelliby beugte sich hinaus, um sich zu beschweren, aber ein Blick auf die bedrohlich finsteren Augen der Kreatur, und er machte den Mund wieder zu und kletterte das blaue Bein hinunter. Der Troll verschwand wieder im Halbdunkel von New Bath. Mr.   Jelliby winkte sich eine ordentliche Dampfkutsche heran und nannte dem Fahrer die Adresse, die Mr.   Zerubbabel ihm aufgeschrieben hatte.
    Die Kutsche war kaum fünf Minuten unterwegs, als sie ebenfalls stehenblieb. Mr.   Jelliby hätte am liebsten laut geschrien. Er streckte den Kopf zum Fenster hinaus.
    »Was ist denn jetzt schon wieder?«
    »Da drüben, das ist ein Feenslum«, sagte der Kutscher und deutete mit seiner Peitsche auf einen von Efeu überwucherten Torbogen zwischen zwei hohen Steingebäuden. »Den Rest des Weges müssen Sie zu Fuß gehen.«
    Mr.   Jelliby stieg fluchend aus und schritt unter dem Torbogen hindurch. Lief erst eine übelriechende Straße entlang und dann eine andere. Fragte nach dem Weg, verirrte sich, wurde angestarrt und ausgelacht, und der Hut wurde ihm vom Kopf gestohlen. Irgendwann jedoch bog er in eine gewundene kleine Straße namens ›Krähengasse‹, und dort traf er auf ein Kind, das gerade kurz davor stand, ermordet zu werden.
    »Na, was jetzt?«, fragte Mr.   Jelliby bemüht freundlich. »Bist du Kind Nummer zehn?« Dabei war ihm überhaupt nicht danach zumute, freundlich zu sein. Sein Blick kehrte immer wieder zu den spitzen Ohren des Jungen zurück und zu seinem spitzen Gesicht. So also sieht ein Mischling aus. Hässlich, wie eine Kreuzung aus einem verhungernden Kind und einer Ziege. Eindeutig nichts, weswegen es sich lohnte, viel Aufhebens zu machen. Die Hälfte der Feenbevölkerung Englands war sogar noch hässlicher, und niemand kam auf die Idee, sie unter einem Holunderbusch zu begraben. Außerdem sah dieser Junge auch nicht so aus, als könnte er irgendjemanden verfluchen. Er wirkte einfach nur niedergeschlagen und völlig erschöpft. Mr.   Jelliby wusste nicht, was er davon halten sollte.
    »Ich weiß es nicht«, murmelte der Junge. »Mutter schläft und wacht einfach nicht auf.«
    »Wie bitte?«
    »Sie wacht einfach nicht auf«, wiederholte der Junge. Einen Augenblick lang hatte er Mr.   Jelliby aus dunklen Augen angeschaut, sich ein Urteil über sein Gesicht gebildet und über seine Kleidung. Jetzt hielt er den Blick jedoch abgewandt.
    »Oh. Na ja, wahrscheinlich ist sie ziemlich müde. Vielleicht weißt du etwas über eine Frau in einem pflaumenfarbenen Kleid? Sie trägt einen kleinen Hut auf dem Kopf – einen Hut mit einer Blume daran. Und blaue Handschuhe. Ich bin fest entschlossen, sie zu finden.«
    Etwas regte sich kurz in den Augen des Jungen, aber Mr.   Jelliby hätte nicht sagen können, ob das daran lag, dass er wusste, von wem die Rede war, oder die Beschreibung wiedererkannte, dass er sich fürchtete, oder an etwas ganz anderem.
    Einen Moment lang stand der Junge nur da und starrte auf seine Füße. Dann fragte er sehr leise: »Wie haben Sie von ihr erfahren?«
    »Ich bin ihr einmal begegnet.« Voller Ungeduld legte Mr.   Jelliby die Stirn in Falten, aber er zwang sich, ruhig zu bleiben. Er durfte das Kind nicht verschrecken. »Sie scheint sich in irgendeiner Gefahr zu befinden, verkehrt unfreiwillig mit einem Mörder und hat Schwierigkeiten mit ihrem Galan. Außerdem glaube ich…«
    Der Junge hörte nicht zu. Er schaute mit stechendem Blick an ihm vorbei, durch ihn hindurch. »Sie war hier«, sagte er. Mr.   Jelliby konnte ihn kaum hören. »Schon zweimal. Erst hat sie meinen Freund mitgenommen und dann meine Schwester. Sie stiehlt Mischlinge aus den Feenslums und…«
    Bartholomew wurde es plötzlich

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