Die Seltsamen (German Edition)
rote Linien auf den Armen, lauter Kringel und Kreise?« Er zerrte an einem von Bartholomews Ärmeln. Seine Schweinsäuglein wurden erst groß und dann schmal. Als er weitersprach, war seine Stimme leise und gefährlich.
»Du wirst bald tot sein, Teufelsbub. Du bist gezeichnet. Den letzten Jungen, der gestorben ist, kennst du bestimmt. Er war von hier aus dem Viertel. Binsterbull oder Buddelbummer oder so ähnlich. Den haben sie aus der Themse gefischt, ja, ja. In London. Und er hatte auch solche Zeichen auf den Armen. Ganz genau solche.« Der Atem des Mannes stank nach Schnaps und faulenden Zähnen. Bartholomew wurde allmählich übel. »Was führst du im Schilde, Teufelsbub?«, brummte der Mann. »Warum bringen sie dich um? Vielleicht sollte ich ihnen die Mühe abnehmen…«
Hinter ihnen räusperte sich jemand. »Verzeihen Sie«, sagte eine höfliche Stimme.
Ohne Bartholomews Kragen loszulassen, fuhr der Hausierer herum. Und stieß ein verächtliches Schnauben aus.
»Was wollen Sie denn?«
»Ich möchte, dass Sie den jungen Mann nicht länger belästigen«, sagte die Stimme.
»Sie nehmen mal besser die Beine in die Hand, Mister. Sonst sind Sie als Nächstes an der Reihe.«
Der Fremde rührte sich nicht von der Stelle. »Lassen Sie ihn los, oder ich erschieße Sie.«
Bartholomew reckte den Hals, um einen Blick auf seinen Wohltäter zu erhaschen. Und starrte direkt in den Lauf einer Pistole. Es war eine winzige Pistole aus Silber; sie hatte einen Perlmuttgriff und war mit Rubinen und Opalen besetzt.
Der Hausierer spuckte auf das Pflaster. »Sie? Sie könnten ja nicht mal ein Kätzchen erschießen, das Ihnen in die Nase beißt.«
Der Fremde drückte ab. Eine wunderschöne Perle rollte träge den Pistolenlauf entlang, plumpste heraus und hüpfte über das Pflaster.
»Verflixt«, sagte der Mann mit der Pistole. »Hören Sie, lassen Sie den Jungen in Frieden, ja? Sie können die Pistole haben. Sie ist eine Menge wert, glaube ich jedenfalls. Und ich kann Ihnen versichern, mehr ist nicht zu holen. Ich trage nur Wechsel bei mir, die auf mich ausgestellt sind und die Sie unmöglich einlösen können, und ich habe nicht einmal eine Uhrenkette, also ist es nicht der Mühe wert, mich auszurauben.« Er hielt dem Hausierer die mit Edelsteinen besetzte Pistole hin. »Jetzt geben Sie bitte das Kind frei.«
Der Mann mit dem Pfannkuchengesicht ließ Bartholomew ohne viel Federlesen aufs Pflaster fallen und riss die Pistole an sich. »Na schön«, sagte er und sah den Fremden misstrauisch an. »Aber das ist kein Kind. Das ist einer dieser Mischlinge, und er ist gezeichnet. Lang hat er nicht mehr zu leben.«
Mit diesen Worten drehte er sich um und stapfte davon.
Bartholomew rappelte sich auf und musterte seinen Retter eingehend.
Ein Gentleman, zweifelsohne. Seine Schuhe schimmerten schwarz, sein Kragen war gestärkt, und er roch furchtbar sauber, nach Seife und frischgepumptem Wasser. Außerdem war er ziemlich groß und hatte breite Schultern und kantige Gesichtszüge. Sein Kinn war von blonden Stoppeln bedeckt – offenbar hatte er sich seit Tagen nicht mehr rasiert. Seine Miene verriet zurückhaltende Neugier. Bartholomew konnte ihn auf Anhieb nicht leiden.
»Hallo«, sagte der Gentleman leise. »Bist du Kind Nummer zehn?«
» Mi Sathir? Wir haben ein Problem.«
Die pflaumenfarbene Dame hatte Mr. Lickerish den Rücken zugewandt. Sie ließ die Arme hängen, und ihre anmutigen Finger zupften kaum wahrnehmbar am Samt ihres Rockes. Ihre Lippen bewegten sich nicht.
»Mi Sathir«, sagte die Stimme noch einmal. Mr. Lickerish blickte nicht auf. Er war damit beschäftigt, etwas mit einer schwarzen Feder auf ein Blatt Papier zu kritzeln, seine feinen Gesichtszüge eine Maske der Konzentration.
Die Dame und der Hochelf befanden sich in einem prächtigen Zimmer. Bücher säumten die Wände, und Lampen tauchten sie in gedämpftes Licht. Ein leises Summen schien allgegenwärtig. Zwei Metallvögel hockten auf dem Schreibtisch, an dem Mr. Lickerish saß, ihre Augen dunkel und lauernd. In einer Ecke des Zimmers war ein Kreidekreis auf die Dielen gemalt. Ein Abschnitt des Kreises wirkte neuer als der Rest, frischer und weißer, als wäre er eben erst gezogen worden.
»Ein Problem, Sathir.«
Mr. Lickerish legte die Feder beiseite. »Ja, wir haben zahlreiche Probleme, Jack Box, und du bist eines davon, und eines ist Arthur Jelliby, und eines ist der alte Mr. Zerubbabel mit seinen krummen, trägen Fingern. Wie lange
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