Die Sherbrooke Braut
keine Hoffnung mehr; sie würde hier sein, Zurückhaltung und Schweigen würden ihre einzige Möglichkeit sein, sich zu schützen. Sie würde gezwungen sein, zu lächeln und den Grafen als zukünftigen Schwager zu begrüßen. Und Zusehen, wie er Melissande ansah, wenn er die Worte sprach, die sie zu seiner Frau machten.
In den achtzehn Jahren ihres Lebens hatte Alexandra erkennen müssen, daß das Leben recht großzügig seine ungenießbaren Speisen auf einem Silbertablett serviert.
Northcliffe Hall
Douglas konnte es nicht glauben, konnte es nicht fassen. Beide Briefe hatten ihn gleichzeitig erreicht. Er starrte erst auf den Brief des Duke of Beresford und dann auf die kurze, in Eile verfaßte Notiz des Lord Averey, der diese durch einen Boten am Morgen hatte bringen lassen. Der Bote saß nun bei einem Bier in der Küche und wartete auf eine Rückantwort.
Er griff noch einmal nach dem Brief des Herzogs. Dieser schwelgte in Fröhlichkeit, Erleichterung und Glückwünschen. Douglas sollte die kommende Woche Melissande in Claybourn Hall, in der alten normannischen Kirche des Dorfes Wetherby heiraten. Der Herzog würde in sieben Tagen sein stolzer Schwiegervater werden. Der frischgebackene Schwiegervater würde dann auch einige Guineen in den geschrumpften herzoglichen Geldbeutel werfen, sobald die Hochzeit stattgefunden hatte.
Er nahm Lord Averys Nachricht in die Hand. Dieser schrieb ihm, er solle schnellstmöglich nach Etaples in Frankreich reisen, und zwar in der Verkleidung eines gottverdammten französischen Soldaten. Er solle auf Instruktionen von Georges Cadoudal warten und diese dann befolgen. Er solle ein französisches Mädchen retten, das gegen ihren Willen von einem der Generäle Napoleons gefangengehalten wurde. Sonst stand nichts in dem Brief, keine weiteren Details, keine Namen. Wenn Douglas diesen Auftrag nicht ausführte, würde England seine beste Chance verpassen, Napoleon zu eliminieren, denn Georges Cadoudal war der Kopf hinter dieser Operation. Lord Avery zählte auf Douglas. England zählte auf Douglas. Als Höhepunkt beendete Lord Avery den Brief folgendermaßen: »Wenn Ihr dieses bedauernswerte Mädchen nicht rettet, läßt Cadoudal ausrichten, wird er nicht an dem Plan Weiterarbeiten. Er besteht auf Eurer Person, Douglas. Er weigert sich jedoch zu sagen, warum. Vielleicht kennt Ihr die Antwort. Ich weiß, Ihr seid ihm früher schon einmal begegnet. Ihr müßt es tun, und Ihr müßt es schaffen. Northcliffe, Ihr müßt. Englands Schicksal liegt in Eurer Hand.«
Douglas lehnte sich in seinem Stuhl zurück und lachte. »Ich muß heiraten, und ich muß nach Frankreich.« Er lachte lauter.
Sollte er nach Frankreich reisen und Cadoudals Geliebte, die das Mädchen mit Sicherheit war, retten oder nach Claybourne reisen als Bräutigam?
Douglas’ Lachen erstarb. Er runzelte die Stirn. Warum konnte das Leben nicht einfacher sein, wenigstens dieses eine Mal? Er war verantwortlich für Englands Schicksal. Gottverdammmich!
Er dachte an Georges Cadoudal, den radikalen Führer der royalistischen Chouans. Sein letzter Versuch, Napoleon aus der Welt zu schaffen, war im Dezember 1800 gewesen. Seine Gefolgsleute in Paris hatten Sprengkörper eingesetzt und dabei zweiundzwanzig Leute getötet und über fünfzig verwundet, jedoch keinen von Napoleons Begleitern. Georges Cadoudal war ein gefährlicher und leidenschaftlicher Mann, der Napoleon bis in den Grund seiner Seele verabscheute. Ein Mann, der die Rückkehr der Bourbonen auf den französischen Thron herbeiwünschte. Er scheute keine Verluste und Kosten, weder an Leben noch an Geld. Aber offensichtlich wertete er das Leben dieses Mädchens so hoch, daß er bereit war, seinen Plan mit England über Bord zu werfen, sollte sie nicht gerettet werden.
Cadoudal kannte Douglas, das stimmte. Er hatte ihn Vorjahren in der Rolle eines Franzosen eine Mission erfolgreich ausführen sehen. Doch warum er darauf bestand, daß Douglas und kein anderer seine Geliebte retten sollte, blieb ein Geheimnis; es sei denn, Douglas ginge nach Etaples, Frankreich. Auch jetzt unterstützte England Cadoudal in einer Verschwörung, die nun gefährdet war, da Georges Geliebte gefangengehalten wurde.
Hollis, seit dreißig Jahren Butler der Sherbrookes, hatte das adlige Auftreten eines Mitglieds des Oberhauses. Lautlos betrat er die Bibliothek. Douglas schenkte ihm keine Beachtung. Damals, vor vielen Jahren, als Douglas noch jung und stolz wie ein Gockel gewesen war und ebenso
Weitere Kostenlose Bücher