Die sieben Dämonen: Roman
Weise ein besserer Ägyptologe als der andere, was jeder der beiden schließlich widerwillig hatte anerkennen müssen. Mark besaß ein Gespür für den Boden; er wußte, wo er suchen mußte und wo nicht, und konnte ein Fundstück freilegen, ohne auch nur ein Sandkorn in Unordnung zu bringen. Ron dagegen verfügte über ein ausgeprägtes Abstraktionsvermögen. Er sah die Geschichte, die sich hinter einem Fundstück verbarg. Er konnte anhand einer Hieroglyphe, eines Fetzen Leinwand oder einer Haarlocke auf das Drama schließen, das sich einst um diesen Gegenstand abgespielt hatte. Ron haßte den Schmutz, während Mark bei der Analyse nur der Zweitbeste war. Zusammen bildeten sie jedoch ein unschlagbares Team.
»Ron«, begann Mark leise, »ich möchte, daß du mitkommst.«
Sein Freund lächelte und schüttelte langsam den Kopf.
»Warum?«
»Zum einen werden wir einen Fotografen brauchen. Zum anderen bist allein du der richtige Fachmann, wenn wir tatsächlich eine Mumie finden sollten.«
»Das stimmt schon, Mark, aber«, Ron stand auf und streckte sich, »ich muß den Abgabetermin für meine Echnaton-Arbeit einhalten …«
»Das ist eine Ausrede, und du weißt es selbst ganz genau. Hier bietet sich dir eine einmalige Gelegenheit, mit der Mumie desjenigen Mannes in Berührung zu kommen, über den du schreibst. Du kannst selbst feststellen, ob Echnaton geschlechtslos war oder nicht. Verdammt noch mal, das ist doch die Chance«, Mark hieb mit der Faust auf sein Knie, »ein Buch zu schreiben, das wie eine Bombe auf der Bestsellerliste der New York Times einschlägt. Und alles, was dir dazu einfällt, ist der Abgabetermin für irgendein Fachmagazin mit einer Auflage von zweihundert Exemplaren.«
»He, jetzt werde doch nicht gleich sauer. Ich habe einfach keine Lust, nach Ägypten zu fahren, das ist alles.«
»Wovor hast du Angst, Ron?«
»Ich habe vor nichts Angst. Aber nur weil du insgeheim den Wunsch hegst, groß rauszukommen, heißt das noch lange nicht, daß auch ich mich danach sehne.«
»Du lebst in einer Baracke in Venice und trägst Klamotten, die jeder andere wegwerfen würde. Du schreibst Groschenromane, um dir was dazuzuverdienen, und segelst in einem morschen Kahn, bei dem du beten mußt, daß er nicht jeden Augenblick absäuft, und dabei weißt du verdammt gut, daß du in deinem Fach ganz an der Spitze stehen könntest!«
»Du siehst die Dinge anders als ich. Ich bin zufrieden, so wie ich lebe.«
»Ach, wirklich? Schau dich doch an, Ron, wie du dich in einem fort bemühst, alte Tatsachen zu verdrehen, damit sie zu deiner neuesten exzentrischen Theorie passen. Du glaubst doch wohl nicht im Ernst, daß Echnaton geschlechtslos war …«
»Na hör mal, das ist wirklich meine feste Überzeugung …«
»Natürlich. Bis vor einem Jahr noch wäre dir so etwas nie in den Sinn gekommen, obwohl du hundertmal Fotos von dieser Statue gesehen hattest. Aber jetzt muß dein Boot zum Entalgen aufs Trockendock, und das ist teuer. Da fällt dir plötzlich ein, daß noch niemals etwas über die Statue eines Königs geschrieben worden ist, die ihn nackt und ohne Geschlechtsteile zeigt! Du setzt dein fachliches Wissen für geradezu unlautere Zwecke ein, Ron.«
Ron schwieg und starrte in den erkalteten, schwarzen Kamin.
Nach einer Weile fuhr Mark fort: »Ron, wenn wir dieses Grab finden und wenn es eine Mumie darin gibt, möchte ich dich dabeihaben, damit du sie als erster in Augenschein nimmst.«
Er ging zu Ron hinüber und packte ihn fest an der Schulter. »Und ich brauche einen Fotografen. Bei einer Ausgrabung kommt dafür nur ein Ägyptologe in Frage. Jetzt bekommst du die Gelegenheit, deine teure Ausrüstung endlich einmal sinnvoll einzusetzen.«
»Ich habe keine Erfahrung im Gelände, Mark. Es ist ein großer Unterschied, ob du eine Dunkelkammer in deiner Wohnung hast oder ob du sie in einem Zelt einrichten mußt.«
»Du könntest eines der Gräber dafür benutzen.«
»Pfui, du Grabschänder!«
»Komm mit, Ron. Du wirst genug Geld verdienen, um deinen Tutanchamun abschaben zu lassen und dir überdies ein Boot zu kaufen, mit dem du die Transpazifikregatta gewinnst.«
Ron dachte einen Augenblick nach und meinte dann: »Glaubst du, daß du es finden kannst?«
»Ich habe keine Ahnung. Tell el-Amarna ist ein recht weitläufiges Gebiet, und man hat es schon ziemlich gründlich erforscht. Das Tagebuch gibt uns nicht viele Anhaltspunkte, wo wir weitermachen sollen.«
»Wo würdest du suchen?«
»Ich denke, ich
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