Die sieben Dämonen: Roman
verstehen wird. Ron, dieses Grab existiert, und es gehört mir.«
Ron lehnte sich gegen die Sofakissen und sah seinen Freund prüfend an. So entschlossen und voller Ehrgeiz hatte er Mark seit dem Dendur-Tempel-Projekt fünf Jahre zuvor nicht mehr erlebt. Und da Ron wußte, was sein Freund in diesem Augenblick empfand – die Aufregung über die Aussicht, einen sensationellen Fund zu machen –, sprang ein wenig von dieser Erregung auch auf ihn über.
Sie blickten einander durch den düsteren Raum hindurch an und hingen jeder seinen eigenen Gedanken nach.
Mark und Ron gehörten zu den geburtenstarken Jahrgängen der sechziger Jahre. Beide hatten als Heranwachsende in überfüllten Klassenzimmern sitzen müssen und hatten den Massenansturm auf die Universitäten miterlebt. Nach der Schule hatten diese jungen Leute die Hörsäle überschwemmt, und nachdem sie ihre Examen gemacht hatten, versuchten sie, sich eine Stelle auf dem ohnehin schon übersättigten Arbeitsmarkt zu erkämpfen. Es gab kaum Möglichkeiten, wo sie als frischgebackene Ägyptologen hätten hingehen können. Da keine Ausgrabungen im Gange waren und es keine Funde zu analysieren gab, blieb ihnen nur die Wahl zwischen dem Lehrberuf oder der Arbeit in Museen – und auf jede offene Stelle kamen zehn qualifizierte Ägyptologen. Viele mußten eine andere berufliche Laufbahn einschlagen, um Arbeit zu bekommen; so hatte einer ihrer gemeinsamen Freunde nach Beendigung des Studiums eine Autowerkstatt eröffnet und verdiente als Inhaber eines großen Betriebes inzwischen mehr als Ron oder Mark.
Dabei hatte Mark noch ziemliches Glück gehabt. Es war ihm gelungen, an den wenigen Ausgrabungen mitzuwirken, die nach dem Bau des Assuan-Staudamms noch durchgeführt wurden; er hatte ein paar populäre Sachbücher geschrieben und deswegen eine Dozentenstelle an der Universität Los Angeles erhalten. Ron dagegen hatte sein Fachgebiet verlassen müssen, um seinen Lebensunterhalt zu sichern. Damit er die Miete für seinen Kanalschuppen im kalifornischen Venice bezahlen konnte, betätigte sich Ron unter drei verschiedenen weiblichen Pseudonymen als Autor von Horrorgeschichten. Seine Honorareinnahmen reichten außer für den Lebensunterhalt gerade noch für seine Hobbys: das Fotografieren, einschließlich der Ausstattung für seine Dunkelkammer, und das Boot. Die Verbindung mit seinem Beruf erhielt er aufrecht, indem er wissenschaftliche Abhandlungen verfaßte, die von der archäologischen Fachwelt stets mit großem Beifall bedacht wurden. Drei seiner Arbeiten – »Homosexualität im alten Ägypten«, »Die Herrschaft des weiblichen Geschlechts im alten Ägypten – ein weitverbreiteter Irrtum« und »Bes: der phallische Gott« –, die er für das Journal of Near Eastern Studies geschrieben hatte, waren in ein neues Lehrbuch aufgenommen worden, das von Anthropologiestudenten im ganzen Land benutzt wurde.
Sein Spezialgebiet waren Mumien. Beginnend mit seiner Doktorarbeit über den »Einsatz der Röntgenfotografie zur Bestimmung verwandtschaftlicher Beziehungen zwischen den Pharaonen des Neuen Reichs«, hatte Ron es durch zahlreiche Veröffentlichungen geschafft, einen bescheidenen Ruf auf diesem Gebiet zu erlangen. Im Jahr zuvor hatte er auf Einladung der Wesleyan-Universität in Connecticut einer Gruppe von Medizinern beim Auswickeln und Analysieren einer Mumie aus der zwanzigsten Dynastie assistiert, die dem dortigen Museum für Naturgeschichte als Schenkung überlassen worden war.
Zu Anfang ihrer Bekanntschaft waren Mark und Ron erbitterte Gegner gewesen. Sie hatten sich acht Jahre zuvor bei einem Seminar in Boston kennengelernt, zu dem beide als Redner geladen worden waren. Mark hatte in seinem Vortrag die These von der gemeinsamen Herrschaft Echnatons und Amenophis’ III. vertreten, während Ron diese zu widerlegen suchte. Nachdem sie sich zunächst bei einem Empfangsdinner über ihre unterschiedlichen Theorien gestritten hat
ten, hatten sie ihre Auseinandersetzung in den Hörsaal hineingetragen, hatten sie bei den Cocktails vor dem Abendessen fortgesetzt und in der Bar bis zur Sperrstunde weiterdebattiert. Am nächsten Morgen waren sie einander nicht mehr von der Seite gewichen und hatten sich für den Rest der Woche ausführlich mit ihren gegensätzlichen Standpunkten beschäftigt, ohne sich besonders intensiv um den weiteren Verlauf des Seminars zu kümmern. Ihre Meinungsverschiedenheiten hatten sie unzertrennlich miteinander verbunden. Jeder war auf seine
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