Die sieben Dämonen: Roman
hatten sich seine Augen der Dunkelheit angepaßt, und was er sah, überraschte ihn.
Sie war die älteste Frau, die Mark Davison je gesehen hatte. Die Fellachin schaute zunächst nicht von ihrer Arbeit auf, sondern hantierte weiterhin emsig mit ihren Töpfen und Pfannen. Sie war von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet, und der gebeugte Rücken und die abgearbeiteten Hände der dunkelhäutigen Greisin waren nicht zu übersehen. Im nächsten Augenblick jedoch, als sie den Kopf hob und ihn mit einem unerwartet klaren Blick fixierte, da dachte er unwillkürlich an die Sebbacha ,die alte Ziegelsammlerin in Ramsgates Tagebuch.
»Wie heißen Sie?« fragte er und wunderte sich, warum er sich unter ihrem Blick plötzlich unwohl fühlte.
Die alte Fellachin starrte ihn noch einen Moment lang an. Ein seltsam undurchdringlicher Ausdruck lag auf ihrem pergamentartigen, faltenreichen Gesicht, dessen Stirn und Augenbrauen hinter ihrem schwarzen Schleier verborgen waren. Dann wandte sie sich wortlos wieder ihren Kochtöpfen zu.
Er wiederholte die Frage, diesmal auf arabisch, doch sie gab keine Antwort.
Eine Gestalt erschien im Eingang und verdunkelte für einen Augenblick das Zeltinnere. Gleich darauf stand Abdul neben ihm. »Wer ist sie?« fragte Mark.
»Sie heißt Samira, Effendi.«
»Ist sie taub?«
»Nein, Effendi.«
Mark musterte aufmerksam die kleine hagere Gestalt, die gichtigen Hände, die unter weiten, schwarzen Ärmeln sichtbar wurden, und den goldenen Ring in ihrem rechten Nasenloch. Sie sah aus wie eine abgezehrte Einsiedlerin.
»Wo kommt sie her?« erkundigte sich Mark.
»Sie wohnt in Hag Qandil, aber sie leistet ihre Dienste in allen Dörfern.«
»Dienste?«
Abdul zögerte ein wenig. »Sie ist eine Scheicha ,Effendi.«
Mark nickte verständnisvoll. Jedes Dorf im Niltal besaß eine Scheicha oder ihr männliches Gegenstück. Die Männer wurden als Scheich bezeichnet, was soviel hieß wie Magier oder Zauberer. Die Scheicha war diejenige unter den Frauen, die in die Geheimnisse der alten Magie
eingeweiht worden war. Diese wurden meist von der Mutter an die Tochter weitergegeben. Sie allein kannte die alten Zaubersprüche, die Formeln, um den bösen Blick abzuwenden, um Frauen zur Empfängnis zu verhelfen, um Feinde mit einem bösen Zauber und die Ernte mit einem guten Zauber zu belegen. Die Scheicha wußte, wie man die Hilfe der Dschinn erlangte, wie man Liebestränke braute und wie man die Geburt eines männlichen Kindes sicherstellte. Die Scheicha praktizierte einen unbegreiflichen Hokuspokus, und je komplizierter und exotischer ihr Zauber wirkte, desto mehr Kraft wurde ihm zugesprochen.
»Warum hast du gerade sie eingestellt?«
»Es ist nicht leicht, in dieser Gegend eine Frau zu finden, die für Amerikaner kochen kann, Effendi. Sie versteht sich auf Ihre empfindlichen Mägen und Geschmackserwartungen. Ich habe sie persönlich ausgesucht, weil sie einen guten Ruf genießt. Und weil sie vor vielen Jahren schon für die britischen Ägyptologen arbeitete, als diese die Paläste freilegten.«
Mark blickte seinen zurückhaltenden Vorarbeiter von der Seite her an und stellte sich einen Moment lang die Frage, ob er wohl einen gewissen Aberglauben aus der Kindheit bewahrt hatte. Dann meinte er: »Mir ist es gleich, was ich esse, solange sie nur begreift, daß Mr. Halstead spezielles Essen haben muß.«
»Jawohl, Effendi.«
Mark trat aus dem Zelt, blickte in die untergehende Sonne und atmete in vollen Zügen die warme Wüstenluft ein. Vor ihm erstreckte sich als schmales grünes Band am Horizont der Fluß, der träge seinem uralten Lauf folgte. Mark konnte in der Ferne die Dattelpalmenhaine sehen, die sich dunkel gegen den sinkenden Sonnenball abhoben. Er schloß für einen Moment die Augen.
»Alle Mann aufstellen!« ertönte plötzlich eine Stimme durch das stille Camp.
Mark schlug die Augen auf und sah Ron durch den Sand auf ihn zustapfen. Hinter ihm kamen Hasim al-Scheichly, Jasmina Schukri und Sanford Halstead heran. Rons Kamera baumelte ihm beim Gehen um den Hals. »Zeit für ein letztes Foto!« Er hatte ein Stativ mitgebracht.
Mark lachte leise auf und entfernte sich vom Gemeinschaftszelt.
»Jetzt bitte zusammenrücken! Wo ist Mrs. Halstead? Ich möchte ein schönes Bild von uns allen an unserem ersten Abend hier machen. Und gerade jetzt sind die Lichtverhältnisse besonders günstig. Ja, dort drüben ist es ausgezeichnet!« Ron fuchtelte mit den Armen wie ein Filmregisseur. »Näher zusammen! Ja,
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