Die sieben Weltwunder
Hauptterrasse für die Gartenanlage. Der Eindruck, die Gärten würden »hängen« oder schweben, wurde vermutlich durch die Terrassen hervorgerufen sowie durch die Bepflanzung tausender von Kletterpflanzen an den Rand jeder einzelnen Terrasse.
Stellen wir uns diesen Garten als Inkarnation einer orientalischen Landschaft vor: sich herabziehende Waldhänge mit nach Harz duftenden Pinien, Zedern und Zypressen. Weinberge voller süßer Reben. Dattelpalmen mit üppigen, bernsteinfarbenen Früchten. Maulbeerbäume, Tamariskengebüsch, Oleander und Hibiskus. Die Blüten der Granatapfelbäume waren so schön, dass sie von den Dichtern im ganzen Land besungen wurden. Wasser für diese Terrassen mit farbenprächtigen Steingärten und Wasserfällen, die von Stufe zu Stufe hinabstürzten, war in diesem Stadtteil genügend vorhanden, es konnte aus dem Euphrat gepumpt werden. Bambus und Papyrus wucherten üppig, Moose und Farne, Wildrosen und Lilien, Veilchen und Klatschmohn, Sonnenblumen und Margeriten bildeten einen einzigartigen prachtvollen Farbteppich.
Dass überhaupt eine Gartenanlage den Rang eines Weltwunders erhielt, ist erstaunlich – bedenkt man, wie vergänglich die Schönheit von Gärten ist, wie sehr sie der Pflege bedürfen, wie rasch Pflanzen unter der sengenden Sonne dahinwelken können, wie kurzlebig und hinfällig selbst starke Bäume sind, wenn sie nicht ausreichend bewässert werden. Ist es nicht seltsam, dass man neben den mächtigen Mauern von Babylon einen Garten, ein solch fragiles und »kurzlebiges« Gebilde, als Weltwunder ansah?
Bei der Anlage und Erhaltung dieser paradiesischen Oase im Meer aus Stein war eine fast unlösbare Schwierigkeit zu überwinden: das Klima. Große Hitze bei Tag wechselte mit empfindlicher Kühle in der Nacht, so dass sich die Menschen in ihren Häusern um ein offenes Kohlebecken oder bei besonderen Anlässen um eine Ölschale versammelten. Nur durch ein äußerst kompliziertes Wasserversorgungssystem konnten die Gärtner mit diesem Problem fertig werden, den Garten ständig begrünt zu halten: Durch einen aufzugähnlichen Schacht im Innern der Terrassenanlage wurde das Wasser aus dem Euphrat geschöpft, in die oberste Gartenzone gepumpt und von dort bis in den letzten Winkel des Gartens verteilt. Die »Wasserspiele« – künstliche Teiche, Wasserfälle, Springbrunnen, Bächlein – sorgten inmitten der staubigen und glühenden Großstadt für märchenhafte, fast unwirkliche Kühle und Frische und dienten als eine Art Klimaanlage für die in ihrem Garten lustwandelnde Prinzessin. Eine Oase, ein wirklicher Garten Paradeisos.
Die Hängenden Gärten in Babylon. (Rekonstruktion von Fr. Krischen)
D AS P ROBLEM DES S TANDORTS
Doch wo standen beziehungsweise »hingen« die Gärten wirklich? In der Nähe des riesigen, mit blauglasierten Ziegeln verkleideten Ischtar-Tores, an der Nordostecke des Königspalastes vermutete Robert Koldewey ihre Fundamente: Er stieß auf ein Kellergewölbe und auf seltsame Brunnenschächte, die den Gedanken an ein Schöpfwerk nahelegten. Ein höchst merkwürdiges Bauwerk! Ein Gewölbe aus Stein, nicht aus Ziegeln, eine Seltenheit im antiken Babylon. War nicht eben dies in einer ganzen Reihe von alten Berichten ausdrücklich bei den Hängenden Gärten erwähnt? Könnten diese Brunnenschächte nicht für das Bewässern der Gärten von unten her gedacht gewesen sein? Vierzehn Kammern mit massiven Gewölben, ein mächtiger Block von Steinen in ihrer ganzen Ausdehnung unter der Grundfläche des Nebukadnezar-Palastes – dies konnte in der Tat nur das Fundament der Hängenden Gärten sein, die eine Ahnung davon geben, wie groß und wunderbar das obere Bauwerk gewesen sein muss.
Robert Koldewey war von seiner Entdeckung fasziniert, ja elektrisiert. Wenn dieses Kellergewölbe wirklich die Hängenden Gärten getragen hat, dann musste man jedoch einen etwas enttäuschenden Tatbestand konstatieren: Der Dachgarten der Semiramis hätte nämlich als ein Trapez mit Seitenlängen zwischen 35 und 23 Metern recht bescheidene Ausmaße gehabt. Koldewey zögerte darum zu behaupten, er habe den Weltwunder-Garten gefunden; er wollte diese Vermutung nur zur Diskussion stellen. Doch war er zweifellos in diesen Gedanken verliebt – er hat den Garten der Semiramis an keiner anderen Stelle mehr sehen, andere Argumente nicht gelten lassen wollen.
Gibt es überhaupt einen Ort, der Vergleichbares zu bieten hat oder gar mit den Schilderungen antiker Autoren besser
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