Die siebte Gemeinde (German Edition)
drei nicht ganz eindeutige Klauseln enthalten sind.«
Emma blickte kopfschüttelnd gen Himmel. »Ist klar, Frau Diepholz, den Paragrafen werde ich mir selbstverständlich genauer anschauen. Sonst noch etwas?«
»Ich glaube nicht, Frau Kemmerling. Das wäre zunächst alles.«
»Ach, Frau Diepholz?«, fragte Emma, bevor sie das Gespräch beendete. »Darf ich Sie fragen, wann Herr Menner Sie gebeten hat, mich anzurufen?«
»Gerade vor einer Minute«, antwortete Frau Diepholz. »Er schien sehr besorgt wegen dieser Sache und duldete keinen Aufschub, was meinen Anruf angeht. Entschuldigen Sie nochmals die Störung.«
Emma verstaute fluchend das Handy in ihrer Tasche, blickte auf und sah die S-Bahn an der Station davonfahren. Geschlagene zehn Minuten musste sie nun auf die nächste warten.
An der Universitätsstraße verließ sie die Bahn und lief am Aachener Weiher vorbei Richtung Dürener Straße. Der See war zentimeterdick zugefroren. Eingepackt in wärmende Schals und Mützen liefen einige Jugendliche mit ihren Schlittschuhen darauf. Elegant drehten sie in aller Ruhe ihre Runden, lachten und trieben Nachlauf. Melancholisch blickte Emma auf den See. Zu ihrer Schulzeit hatte sie eine Menge Zeit dort verbracht.
Hinter dem See bog Emma in die Dürener Straße. Vor dem Laden angekommen schaute sie noch einmal ins Schaufenster und betrat den menschenleeren Eingangsbereich. Obwohl eine Klingel sie angekündigt hatte, begrüßte sie niemand. Emma nutzte die Zeit, um einen Blick durch den Verkaufsraum zu werfen. Der Raum maß zirka 30 Quadratmeter und war vollgestopft mit Schätzen, die das Herz eines jeden Sammlers höher schlagen ließen. Besteckkoffer aus edlen Hölzern präsentierten sich schmuckvoll an den Seitenwänden. Darin lagen, perfekt in Reih und Glied angeordnet, Silber- oder Goldbestecke im weichen Samt. In der Mitte des Raumes standen Tischchen, auf denen bemalte Porzellanteller lagen. Daneben allerlei Holzstatuen und Kerzenständer aus Silber, Messing oder Gold. In der Ecke befand sich eine riesige, bis an die Decke reichende Glasvitrine, in der man Taschen- und Armbanduhren aller Art bewundern konnte. Vis-à-vis blickte Emma auf die Verkaufstheke. Auf ihr stand eine historische Kasse mit verschnörkelten Eingabetasten aus Messing. Hinter der Theke erkannte Emma den Durchgang zu dem kleinen Büro des Ladens, verhangen durch einen dunklen Wollvorhang. Neben der Theke verlief eine schmale Wendeltreppe in das obere Stockwerk. Links und rechts des Eingangsbereiches gelangte man durch offene Rundbögen in weitere Ausstellungsräume. Dort befanden sich Möbel, wie altertümliche Kommoden, Schlaf- und Wohnzimmerschränke aus allen erdenklichen Hölzern, bis hin zu vollständigen Esszimmer-Garnituren.
Emma stand noch immer unverrichteter Dinge neben der Eingangstür. Niemand begrüßte sie. Sie ging noch einmal zur Tür und öffnete sie, um das Läuten erneut auszulösen. Nichts geschah.
»Hallo?«, rief sie in den Raum. »Herr Seydel?«
Keiner antwortete ihr.
Emma beschloss, im Büro nach Robert Seydel zu suchen. Sie trat einen Schritt nach vorne, da hörte sie einen dumpfen Schlag im Obergeschoss. Als hätte jemand ein schweres Buch auf den Boden fallen lassen. Erschrocken blieb sie stehen und lauschte. Die Dielen knarrten, und sie wusste nicht, ob es von oben kam, oder ob sie selbst das Knarren verursacht hatte. Starr stand Emma im Raum und regte sich nicht, bis ein leises Stöhnen zu ihr drang. Instinktiv ließ sie ihren Ordner und die Tasche fallen und rannte die Wendeltreppe nach oben. Nach wenigen Stufen stand sie in einem weiteren Ausstellungsraum und schaute sich hektisch um.
»Hallo?«, rief sie vorsichtig. »Ist jemand hier?«
Erneut vernahm sie das Stöhnen, diesmal klang es leiser und schwächer. Emma wollte wieder nach unten steigen, als sie hinter einem Wandschrank einen Fuß am Boden erkannte. Sie rannte zu der Stelle und sah Robert Seydel vor sich liegen. Der alte Mann lag seitlich verdreht neben einer schwarzen Kommode. Seine Beine waren angewinkelt, und sein linker Arm wies in eine entgegengesetzte Richtung. An seinem Kopf klaffte eine riesige Wunde. Blut ergoss sich über den braunen Dielenboden und färbte diesen noch dunkler. Seydels rechter Arm kratzte verkrampft über den Boden, bis auch dieser regungslos liegen blieb. Als Emma Robert Seydel erreichte, stierte dieser mit offenen Augen gegen ihre schwarzen Lederstiefel.
Unsicher ließ sie ihren Blick durch den Lagerraum schweifen, um
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