Die siebte Gemeinde (German Edition)
dann wieder auf Seydel zu schauen. Sie brachte es nicht über sich, seinen Puls zu fühlen, wusste aber, was die offen stehenden Augen zu bedeuten hatten. Würgend musste sie an sich halten und wendete sich ab. Um sich abzulenken, musterte sie den Raum. Sie konnte keinen Gegenstand auf dem Boden liegen sehen. Sie fragte sich, ob der Mann von der Kommode gestürzt sein könnte? Über ihm befand sich ein Regal, auf dem alte Folianten und ledergebundene Bücher standen. Sie glaubte für einen Moment, dass er bei dem Versuch, ein Buch zu erreichen, von der Kommode gestürzt sei, verwarf diese Theorie jedoch, als sie die kleine Trittleiter daneben erkannte.
Emma stand wie versteinert da, bis sie zur Besinnung kam und beängstigt feststellte, wie gelassen sie gerade reagierte. Hin und wieder hatte sie in der Vergangenheit beim Schauen eines Krimis darüber nachgedacht, wie es wäre, wenn sie mit einem Verbrechen konfrontiert werden würde. Wie würde sie reagieren? Spielt einem das Gehirn in dieser Situation einen Streich? Offensichtlich musste es so sein, wie sonst war ihre Lethargie zu erklären. Kopfschüttelnd nestelte sie an ihrer Jackentasche und suchte nach ihrem Mobiltelefon.
»Scheiße, die Tasche liegt unten«, fluchte sie und rannte zur Treppe.
Auf halben Weg blickte sie zurück auf Robert Seydel und auf die schwarze Kommode, vor der er lag. Eine der Schubladen war minimal geöffnet. Neugierde packte sie. Entgegen jeglicher Vernunft ging Emma zurück, beugte sich hinunter und bewegte zittrig ihren Arm über den Mann hinweg. Langsam öffnete sie die Lade und es verschlug ihr den Atem. In der Schublade leuchtete ihr ein einsames bräunliches Blatt Papier entgegen. Ähnlich dem Fetzen, wie sie ihn heute früh in der Hand gehalten hatte. Nur war dieses Blatt, von wenigen Ramponierungen abgesehen, komplett erhalten. Ohne nachzudenken, nahm sie es heraus, steckte es unter ihr Jackett und rannte zur Treppe.
Kurz vor Erreichen der Stufen wurde Emma ruckartig neben einen Schrank in einen dahinter befindlichen Raum gezogen. Mit weit aufgerissen Augen versuchte sie, in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Sie wand sich, um dem Griff ihres Gegners zu entkommen, konnte jedoch nicht genügend Kraft aufbringen. Unfähig zu schreien, da ihr der Mund zugehalten wurde, sah sie ihr komplettes Leben vorüberziehen.
»Pst … leise«, flüsterte die Person. »Er ist noch hier, glaube ich.«
Noch immer panisch erkannte sie Elias Seydel, der ihr langsam die Hand vom Mund löste und einen Finger auf seine Lippen legte.
»Wer ist noch hier? Haben Sie jemanden gesehen?«, fragte Emma, als sie halbwegs bei klarem Verstand war.
»Nein, nicht direkt«, antwortete Elias noch immer flüsternd. »Ich habe einen Mann vorhin mit meinem Vater sprechen hören. Sie wurden lauter, was durchaus üblich ist, wenn über Preise verhandelt wird.« Er wies in die Kammer hinter sich. »Ich befand mich hier hinten in der Werkstatt. Als ich dann eine Zeitlang nichts mehr gehört habe, wollte ich nachschauen. Was ich dann sah, war, wie Sie vor der Kommode neben meinem Vater knien.« Hektisch deutete er nach draußen. »Wir müssen unbedingt einen Krankenwagen rufen.«
»Das wollte ich gerade«, entgegnete Emma. »Doch dann haben Sie mich hier hineingezogen.«
Im Erdgeschoss ertönte die Glocke der Ladentür. Fragend schauten sich beide an. Elias zuckte kurz mit den Schultern, trat einen Meter in den Raum und schaute sich um. Vorsichtig legte er sich vor der Treppe bäuchlings auf den Boden und blickte hinab in das Erdgeschoss.
»Was ist?«, zischte Emma ihn an. »Ist da wer?«
Elias hielt seine Hand abwartend in die Höhe.
»Moment noch«, flüsterte er und sprang dann ruckartig zurück auf die Füße. »Da unten ist niemand. Wahrscheinlich ist er nach draußen gegangen.«
Geistesgegenwärtig schoss Emma wie ein Blitz aus ihrem dunklen Versteck, um aus dem gegenüberliegenden Fenster auf die Straße zu schauen. Autos drängten sich hupend voreinander her und Passanten liefen in dicke Mäntel gepackt auf dem Bordstein Slalom, um sich nicht anzurempeln. Niemand der sich verdächtig verhielt oder sich misstrauisch umschaute. Zurück in den Raum gewandt, sah Emma wie Elias regungslos vor seinem Vater stand.
»Wir müssen endlich Hilfe holen«, rief sie ihm zu.
»Wie?«, fragte er konfus. »Ja, natürlich.« Er drehte sich auf dem Absatz und ging gesenkten Hauptes Richtung Wendeltreppe. »Das Telefon befindet sich unten im Büro.«
Sie stiegen
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