Die siebte Gemeinde (German Edition)
wenn er bemerkte, dass dieser ihm den Kopf zudrehte, schaute er auf Anhieb weg. Mit der Zeit hatte Arusch das Gegaffe satt. »Was ist?«
Nazares Augen weiteten sich. »Wie war das gerade?«, fragte er. Seine Stimme überschlug sich.
»Was?«
»Na, was wohl, den Verräter zu töten, natürlich. Hast du es so getan, wie ich es dir gesagt habe? Ganz langsam?«
Arusch nickte. »Ich bin ganz nah an ihn herangetreten und habe ihm tief in die Augen gesehen. So, wie du es mir gesagt hast.«
»Sehr gut, sehr gut«, jubilierte Nazares und tat einen Sprung. »Das hat er verdient, der elende Schwätzer.«
»Wann sind wir endlich da?«, unterbrach Pardus die Jubelschreie.
Arusch blieb stehen und sah ihn verwundert an. »Ich dachte, du wohnst in dieser Stadt. Da wirst du doch wissen, wo seine Tante wohnt.«
»Wenn er mir sagen würde, wo sie wohnt, dann ja. Ich kenne seinen Vater, nicht seine Tante. Hast du eine Ahnung, wie groß diese Stadt ist? Außerdem habe ich Hunger, da kann ich mich nicht konzentrieren.«
»Wir sind gleich bei ihr«, meinte Nazares. »Ob sie allerdings etwas zu Essen hat, kann ich dir nicht versprechen.«
»Das soll unser Problem nicht sein«, sagte Arusch. »Da wird sich schon etwas auftreiben lassen. Sag mal, Nazares, hat Georgios deine Tante eigentlich gekannt?«
Als hätte man ihn am Kragen gepackt, blieb Nazares abrupt stehen und drehte sich erschrocken um. »Warum? Ist er etwa? Ich dachte, du hättest …«
»Nein, nein, keine Sorge. Es könnte doch sein, dass er den Rittern verraten hat, wer deine Tante ist und wo sie wohnt. Schließlich sind sie auf der Suche nach uns.«
»Ich glaube nicht, dass er Petronia kannte«, vermutete Nazares. »So häufig war sie nicht bei uns. Außerdem war Georgios fast nie bei uns zu Hause. Mein Vater hatte zwar wegen seines Geschäftes mit ihm zu tun gehabt, war aber meistens drüben bei ihm in der Schreinerei.«
Arusch lächelte zufrieden. »Das genügt mir als Antwort.«
Vor einer baufälligen zweigeschossigen Holzbude blieb Nazares stehen. Das verrottete Haus fiel in der heruntergekommenen Straße nicht weiter auf, da sich sämtliche Häuser im gleichen Zustand befanden. Vor den winzigen Fenstern, durch die man gerade einen Kopf hätte stecken können, hingen zum Schutz zerrissene Säcke und auf den Dächern einzelner Hütten klafften Löcher. Es schien, als bräuchten sie nur einen einzigen Schubs, um in sich zusammenzufallen.
Noch bevor Nazares an die schief hängende Eingangstür klopfen konnte, lugte ein Junge aus dem Fenster neben der Tür und rief lauthals Nazares’ Namen. In diesem Moment schlug die Tür auf, und zwei blonde Mädchen, die sich wie ein Ei dem anderen glichen, rannten lachend hinaus und fielen Nazares jubelnd in die Arme. »Nazares, Nazares, da bist du ja endlich«, quietschten sie aufgeregt. »Mutter und Tante Petronia haben sich schon große Sorgen um dich gemacht.«
»Ihr wisst doch, dass mir nichts passiert«, lachte Nazares und tätschelte die etwa siebenjährigen Mädchen auf ihre lockigen Hinterköpfe.
»Ist das der Mann?«, fragte eines der Mädchen und deutete auf Arusch.
»Genau«, bestätigte Nazares mit stolz geschwellter Brust. »Ihm habe ich geholfen, aus dem Gefängnis auszubrechen, müsst ihr wissen. Ohne mich wäre er bereits tot.«
»Stimmt das?«, fragten die Mädchen und schauten Arusch zwischen ihren strähnigen Locken von unten her an. Beide hatten ihre braunen Kinderaugen erwartungsvoll aufgerissen. »Hat unser Bruder dir das Leben gerettet?«
»Ja, das stimmt«, nickte Arusch. »Ohne ihn wäre ich jetzt nicht hier.«
Die Mädchen flitzten zum Haus. »Mama, Mama, Nazares hat dem Mann das Leben gerettet! Wir haben einen Helden als Bruder!«
»Ist ja gut«, sagte eine Frau, die mittlerweile zwischen den Türpfosten stand. »Geht jetzt zurück, und helft Tante Petronia und Tante Viktorianah. Wir wollen gleich etwas essen.«
Das Gesicht der Frau war blass und eingefallen. Der Kummer der vergangenen Stunden hatte sie sichtbar mitgenommen. Kraftlos hielt sie sich mit einer Hand am Rahmen der Tür fest. Unter einer schwarzen verschlissenen Haube lugten staubige Haarsträhnen hervor, die ihre müden Augen halb bedeckten. »Wenn ich die Kraft dafür hätte, würde ich dir den Hintern versohlen«, tadelte sie Nazares. Ihre Miene war von Angst gezeichnet. »Glaubst du, ich wollte nach deinem Vater noch meinen ältesten Sohn verlieren?«
»Aber Mama, ich …«
»Nichts aber«, unterbrach sie ihn sofort.
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