Die siebte Gemeinde (German Edition)
noch gehörige Nackenschmerzen plagten, machte sich eindeutig bemerkbar. Zwischendurch hatte sie in der Sitzung geglaubt, endgültig den Verstand zu verlieren. Sie hatte völlig gedankenverloren das Wort »Menschenhasser« vor sich hingeflüstert. Wolfgang Menner hatte ihr daraufhin einen entrüsteten Blick zugeworfen. Zwar wusste er, dass ihn viele wegen seiner überfordernden, selbstgerechten und verachtenden Art für einen schlechten Menschen hielten, aber Menschenhasser aus Emmas Mund schien selbst ihn zu schockieren. Emma hatte daraufhin das Wort zum aktuellen Sachverhalt ergriffen und ihr Chef, gottlob, nicht weiter nachgehakt.
Nun brauchte sie etwas Ruhe. Sie legte den Telefonhörer beiseite, ebenso sämtliche Akten, holte sich einen frischen Kaffee und genehmigte sich mit hochgelegten Beinen eine Pause. Die ersten Minuten Nichtstun, die sie sich am heutigen Tag gönnte. Nachdem sie es tatsächlich geschafft hatte, gewisse Zeit an nichts zu denken, kehrte nach und nach der Matteo-Reim in ihr Gedächtnis zurück. Er schlich sich in ihr Hirn, wie ein widerlicher Parasit und ergriff Besitz von ihr. ›Mann, aus der Zeit vorm Barock. Barock? Welche Stilrichtungen vor dem Barock gab es überhaupt?‹
Bisher hatte sie noch nicht die Muse gehabt, sich damit zu beschäftigen. Sie stellte die Tasse ab, rückte an ihren Schreibtisch und aktivierte das Internet. Sie startete eine Suchmaschine und gab das Wort ›Barock‹ ein. Mehr nicht. In Windeseile befand sie sich auf einer Enzyklopädieseite und las, dass die Zeit unmittelbar vor dem Barock die Renaissance war.
Emma überlegte. Vor dem Barock konnte alles bedeuten. Sie suchte weiter und fand heraus, dass vor der Renaissance die Gotik und davor die Romanik die herrschenden Stilrichtungen waren.
»Und was sagt mir das jetzt?«, murmelte sie. »Gar nichts, wie so oft. Wie soll ich einen Mann in einer Zeitspanne von mindestens fünfhundert Jahren ohne einen Zusammenhang finden? Das ist doch aussichtslos.«
Wütend beendete sie die Internetverbindung und widmete sich frustriert ihrer Arbeit. Es fehlte ihr jedoch jegliche Motivation. Zum einen lag es am späten Freitagmorgen, die Woche hatte eindeutig Spuren der Erschöpfung an ihr hinterlassen, zum anderen musste sie ständig an den toten Robert Seydel denken. Wenn ihr die Arbeit nicht bis über den Kopf stehen würde, hätte sie längst einen Tag Urlaub genommen.
›Die Kommode‹, dachte sie plötzlich, ›der Ankaufschein. Warum bist du nicht schon früher darauf gekommen?‹
Emma ließ ihren Stift auf den Tisch fallen und rollte sich mit einem kräftigen Schwung zu der Ordnerkiste mit den Seydel Unterlagen. Mit einem gezielten Griff zog sie eine Akte heraus. Sie wollte wissen, wer die Kommode den Seydels verkauft hatte. Vielleicht war es gar nicht Robert Seydel, der das Dokument dort hineingelegt hatte, sondern es stammte vom Vorbesitzer? Sie las die Adresse: Nordwest Bau- und Kulturstiftung, Vor den Arkaden 24, 50567 Köln.
»Hm, nie gehört.«
Beim genaueren Hinsehen erkannte sie, dass die Stiftung als Mittelsgesellschaft tätig wurde. In der Beschreibung über das Angebot stand, dass es sich um Möbel des Altenberger Doms gehandelt hatte. Emma las die beigeheftete Anzeige: »… wir bieten aus dem Bestand des Altenberger Domes, Gemeinde Odenthal … zwei schwarz gebeizte Kommoden mit zwölf Schubladen. Die Kommoden sind im guten Zustand und werden auf das Jahr 1830 datiert … «
Emma stockte.
›Zwei Kommoden? Wieso zwei Kommoden?‹ Sie konnte sich noch genau an die schwarze Truhe erinnern. Nicht zuletzt, weil sie wie ein riesiger Marmorgrabstein hinter dem toten Robert Seydel aufgeragt hatte. Eine Zweite wäre ihr mit Sicherheit aufgefallen. Nein, sie war sich sicher, dass dort keine zweite Kommode gestanden hatte.
Emma stierte erneut auf den Kaufvertrag. Tatsächlich hatten die Seydels nur eine Truhe gekauft. Doch warum? Hatte Matteo die zweite Truhe erstanden und war auf der Suche nach dem vollständigen Dokument? Oder war es gar möglich, dass sie noch immer im Dom stand? Eventuell mit weiteren Schriftstücken darin?
Emma wurde zunehmend nervöser. Sie blickte auf ihre Uhr. Da klingelte das Telefon. Gerade erst hatte sie den Hörer wieder zurückgelegt. Die Nummer im Display zeigte den Antiquitätenladen an. Sofort hob sie ab.
»Hallo, Elias«, rief sie aufgeregt, »ich wollte Sie ebenfalls gerade anrufen. Ich habe ungeheure Neuigkeiten, das werden Sie nicht glauben.«
Ȁh, hallo, Frau
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