Die Siechenmagd
vom Ofen, schenkt den Reisenden etwas heißen Würzwein ein und fordert sie auf, sich doch an den warmen Kachelofen zu setzen. Nach kurzer Zeit schon entspinnt sich ein lebhaftes Gespräch zwischen den Anwesenden und die Atmosphäre lockert sich zunehmend auf.
„So feinen Würzwein kriegen wir hier nicht alle Tage zu saufen! Aber heute hat unser Fräulein ja Geburtstag und da lässt sich der Herr Graf schon nicht lumpen. Wenn wir nachher in die Küche gehen, um zu nachtmahlen, holen wir uns noch Nachschub. Das sollten wir auch besser bald machen, sonst picheln die Küchenleute wieder alles weg“, erklärt der Futtermeister.
In der großen Küche herrscht geschäftiges Treiben: Ein Küchenmeister und zwei Beiköche stehen mit hochroten Köpfen am Herd, sind am Rühren und am Braten und erteilen den sechs Küchenmägden um sie herum immer wieder hektische Anweisungen.
„Setzt Euch da hinten an den Gesindetisch und haltet erst mal Ruhe, bis die Greta Euch nachher was bringt. Wir haben jetzt weiß Gott andere Sorgen, als Eure Verköstigung!“, raunzt der Küchenmeister den Eintretenden ärgerlich entgegen. Es duftet köstlich nach Gesottenem und Gebratenem und beim Anblick der bereits fertig gerichteten Silberplatten mit fein dekorierten Ferkeln, Hasen und Kapaunen läuft den Wartenden das Wasser im Munde zusammen.
„Also los, es kann aufgetragen werden!“, ordnet der Küchenchef nach einer Weile an und klatscht dabei gebieterisch in die Hände. Er und die beiden Köche ergreifen sogleich eine der Silberplatten und verlassen gewichtig, gefolgt von den Schüsseln und Krüge tragenden Mägden, im Gänsemarsch die Küche.
Greta, die alte, bucklige Küchenmagd wirft einen mürrischen Blick zum Gesindetisch.
„Da können’s wieder welche nicht abwarten!“, knurrt sie vor sich hin und schlurft schwerfällig zu einem großen Kessel über der Feuerstelle, aus dem sie ordentliche Portionen in tiefe Holzteller schöpft, die sie nach und nach den Schaustellern und den Stallburschen vor die Nase stellt. Zum Schluss schneidet sie noch einen Laib Brot auf und trägt ihn zum Tisch.
„Guten Appetit! Von so einer guten Brühe werdet ihr noch tagelang träumen! Ist all das drin, was unsere Herrschaften nicht auf ihren Tellern haben wollen. Knorpel, Knochen und ein Paar fette Brocken Fleisch, gekocht mit Kohl, Rüben und Kartoffeln. Haut nur rein Jungs, auch Ihr, Possenreißer, es ist genug für alle da!“, grummelt die alte Magd gutmütig und streicht dabei den Schaustellerbuben über die stoppeligen Köpfe, die sich mit Heißhunger über den Eintopf hermachen.
Etwa eine Stunde später erscheint der Kammerdiener in der Küche und teilt der Schaustellergruppe mit, ihr Auftritt könne jetzt beginnen. Alle sind bereits fertig kostümiert und sorgfältig hergerichtet, die Musikinstrumente und der Tierkarren befinden sich schon neben der Tür. Mäu trägt genau wie Lisbeth einen Hennin mit farbigen Schleiern auf dem Kopf und ist in ein buntes Gewand gekleidet. Seitdem sie mit den Schaustellern unterwegs ist, hat es sich recht bald ergeben, dass sie wie selbstverständlich in deren Auftritte miteinbezogen wurde. So ergreift sie auch jetzt die kleine Holzflöte, welche sie, passend zum allgemeinen Dilettantismus des restlichen Ensembles, eher schlecht als recht zu spielen versteht, und folgt den anderen mit gehörigem Lampenfieber im Bauch zum Festsaal der Burg.
„Herr Graf, Frau Gräfin, Freifräulein Irmingard, hier nun die Gaukler zu Eurer werten Erbauung!“, verkündet der alte Diener mit tiefer Verbeugung vor seinen Herrschaften und weist auf die kleine, bunt gewandete Schar, die sich geflissentlich hinter ihm hält.
Die Artisten verneigen sich in scheuer Ehrfurcht vor der Adelsfamilie, die an der Stirnseite einer langen, festlich gedeckten Tafel thront. Die Jubilarin des heutigen Abends, das Freifräulein, platziert auf einem prunkvollen Stuhl mit hoher Lehne zwischen ihren Eltern und ihrem jungen Bräutigam, ist fast noch ein Kind. Ihr Gewand aus rauchgrauem Samt ist über und über mit Perlen bestickt und bildet einen trefflichen Kontrast zu ihrem langwallenden, rotgoldenen Haar, das von einem schlichten Goldreif gekrönt wird. Auf ihrem linken, mit einer Ledermanschette versehenem Handgelenk sitzt ein junger Falke, dessen Kopf unter einer dunklen Haube verborgen ist. Mit kühlem, hochmütigem Blick mustert sie die Schaustellergruppe und verzieht dabei die zierlichen Rosenlippen zu einem verächtlichen
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