Die Siechenmagd
solltest du es ja begriffen haben, dass wir zu dir stehen“, sagt Lisbeth ungehalten. „Wenn du jetzt nur noch Trübsal bläst, wird’s auch nicht besser. Lass mal die ewige Grübelei und sei guten Mutes!“, wendet sie sich an die Niedergeschlagene.
„Ach, Lisbeth, das sagst du so. Ich mach mir halt die schlimmsten Sorgen. Wenn bloß der Regenmacher nichts wegen mir ausbaldowert! Ich hab kein gutes Gefühl, hoffentlich führt der nichts im Schilde! Hundert Gulden sind viel Geld. Die machen einem mit einem Schlag reich, und Leo ist ein verdammter Abstauber, das weiß doch jeder!“, entgegnet Mäu kummervoll.
„Jetzt mach mal halblang! Der Kerl ist ein Arschloch, ja, aber wie ein verfluchter Verräter wirkt der nicht auf mich. Außerdem, wenn er das wirklich gewollt hätte, dann wäre er die Nacht schon zu den Gendarmen gerannt.“
„Vielleicht hätte ich ihn ja zum Saufen einladen sollen und ihm ein bisschen um den Bart gehen müssen“, wirft Mäu ein.
„Mit so einem Schaumschläger gibt man sich doch gar nicht ab“, mischt sich nun auch Hannes ein.
„Maria, ich will dir jetzt mal eins sagen: Wenn du unterwegs bist, musst du dich immer wieder aufrappeln und guter Dinge sein. Wenn du ängstlich und missmutig bist, kriegst du erst recht einen reingerührt. Als Fahrender kannst du immer leicht in Kalamitäten geraten. Dann muss man einen kühlen Kopf bewahren, allen frech in die Fratze lachen und an den Bütteln mit kalter Schnauze vorbeigehen, als wär’n sie bloß ein paar Runkelrüben auf dem Acker! Wer grämlich und verängstigt dreinblickt, dem braten die Dackel gleich eins über. Die riechen das förmlich, wenn du Bammel hast, du machst sie dadurch nur auf dich aufmerksam. Und dann sitzt du wirklich in der Patsche! Wir Vogelfreien müssen tollkühn sein, wenn wir nicht untergehen wollen, du musst lernen zu lachen, auch wenn dir der Stift geht. Dann hast du gewonnen und deswegen sei jetzt so gut: Tritt deiner Angst endlich in den Arsch, denn Muffegänger ziehen nur das Unglück an. Ich weiß, es ist nicht leicht für dich, aber versuche einfach, ein bisschen zuversichtlicher zu sein, denn Zuversicht ist ein besserer Reisekumpan als die Angst!“, erklärt Lisbeth in resolutem, aber wohlmeinendem Tonfall.
Die Gruppe zieht schweigsam weiter. Es ist ein kühler, aber freundlicher Apriltag, der Frühling hat sich endlich gegen den langen Winter durchgesetzt und am Wegesrand blühen die ersten Blumen. Mäu, die die ganze Zeit über Lisbeths Worte nachgedacht hat, beugt sich nieder und pflückt ein kleines Sträußchen, welches sie der Freundin überreicht.
„Danke, dass du mir mal den Kopf zurechtgerückt hast, Lisbeth“, raunt sie der Schaustellerin zu.
15. Wittische *
Nachdem sie über die grüne Grenze von Hessen nach Thüringen gewechselt sind, ganz nach den Anweisungen des Boskenners das „gefährliche“ Vacha mit seinen Zoll- und Grenzposten an der steinernen Werrabrücke umgehend, beginnt sich Mäu zunehmend zu entspannen.
Mehr und mehr beherzigt sie inzwischen die Lebensweisheit Lisbeths und tröstet sich damit, immerhin die Hälfte der Wegstrecke bis nach Leipzig unbehelligt zurückgelegt zu haben, was nicht unerheblich dazu beiträgt, dass sie sich während ihres Marsches durch den Thüringer Wald immer sicherer fühlt. Durchdrungen von neuer Hoffnung sieht sie es sogar im Rahmen des Möglichen, sich bis nach Prag durchzuschlagen, und dann hat sie gewonnen. In Prag, der Hochburg der Gauner, kann sie vielleicht ein neues Leben anfangen, mit dem Geld von dem Schmuckverkauf ein kleines Gewerbe führen. Guten Mutes und deutlich unbeschwerter fängt sie langsam an, ihre Wanderschaft zu genießen.
Nachdem sie den ganzen Tag über durch dichten Tannenwald marschiert sind, ohne auf irgendeine menschliche Behausung oder Ansiedlung zu treffen, zeichnet sich in der Ferne endlich eine Burg ab. Die Wanderer sind froh darüber, denn es ist bereits später Nachmittag und sie sind darauf angewiesen, vor Einbruch der Dunkelheit noch eine Bleibe zu finden, und wo eine Burg ist, da ist meistens auch ein Dorf in der Nähe. Wie von selbst beschleunigen sie ihren Schritt, obwohl die Beine von dem langen Tagesmarsch auf dem schweren, morastigen Waldboden schon ziemlich ermüdet sind.
„Hoffentlich kommt jetzt bald so ein Nest, wo wir ein günstiges Nachtquartier finden können! Hier kennt man sich nämlich überhaupt nicht aus und knapp bei Kasse sind wir inzwischen auch noch“, gibt
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