Die Siechenmagd
Ihr braucht mir gar nix davon zu geben! Behaltet es nur. Ihr habt mir auch so schon mehr als genug geholfen, dadurch dass ihr immer so anständig zu mir wart“, entgegnet Mäu gerührt.
Am Abend entscheiden die Reisenden, sich zur Feier des Tages etwas Gutes zu gönnen und kehren unweit von Gotha in das Gasthaus „Zum Engel“ ein.
Nachdem sich die Fahrenden gut gelaunt an einem Tisch niedergelassen haben, merken sie bald, dass sie keine gute Wahl getroffen haben. Von allen Seiten werden sie unfreundlich beäugt, der Wirt begegnet ihnen abweisend. Die Gäste sind in der Hauptsache Einheimische, vereinzelt auch reisende Händler. Innerhalb des gediegenen, behäbigen Publikums mutet das bunte Grüppchen der Schausteller wie ein Fremdkörper an – und wird auch so behandelt. Mäu und ihre Weggefährten fühlen sich unwohl und ziehen schon in Erwägung, das Lokal wieder zu verlassen, als an einem der Tische aufgebrachtes Geraune zu vernehmen ist. Die Köpfe der Tischgesellschaft, eben noch verschwörerisch zusammengerückt, kehren sich in Richtung der Vaganten und ein Mann, von seinen Zechbrüdern angestachelt, erhebt sich und bewegt sich leicht torkelnd auf die Neuankömmlinge zu. Noch während er sich aufgerichtet hat, wird Mäu höchst unheilvoll bewusst, dass sie ihn von irgendwoher kennt, und sie überlegt angestrengt. Das ist ja der Spezereihändler Ofenrauch aus Frankfurt, bei dem ich immer den Weihrauch für Neuhaus gekauft habe!, durchfährt es sie siedend heiß. Jetzt ist alles verloren!
Auch Ofenrauch hat Mäu erkannt.
„Wirt, schließ sofort die Tür ab! Das ist die gesuchte Siechenmagd aus Frankfurt, die ihren kranken Dienstherrn meuchlings erschlagen und ausgeraubt hat! Ruf einer sofort die Gendarmen herbei, das Aas muss solange festgehalten werden!“, schreit der Kaufmann mit sich überschlagender Stimme, die wie ein Alarmruf durch die ganze Schenke hallt – und mit einem Mal gebärden sich die vorher noch gesitteten Gäste wie die reinsten Berserker. Stürzen an den Vagantentisch und zerren, knuffen, malträtieren schon bald derartig drauflos, als hätten sie den bösen Feind unter der Fuchtel. Mäu und ihre Freunde wissen zunächst nicht, wie ihnen geschieht und versuchen, sich nach besten Kräften gegen die Übermacht der wild gewordenen Meute zu wehren, was ihnen leider nicht gelingen will. Haare werden ihnen ausgerissen, Zähne eingeschlagen, und als endlich der Hausknecht mit den Bütteln eintrifft, droht die Keilerei allmählich in Lynchjustiz auszuarten. Den Bütteln bleibt nur noch, die aufgebrachte Rotte gebührend zurückzupfeifen und die geschundenen Gestalten einzusammeln und in Gewahrsam zu nehmen.
Die Schaustellerfamilie wird nach ein paar Tagen wieder auf freien Fuß gesetzt, Mäu hingegen wird an die Frankfurter Gendarmerie ausgeliefert.
Sie hat noch nicht einmal die Gelegenheit, von ihren treuen Weggefährten Abschied zu nehmen. Gänzlich am Boden zerstört, ahnt sie, dass sie die Freunde niemals Wiedersehen wird.
16. Der Angstmann
An einem sonnigen Nachmittag im Mai erklimmt Meister Hans, der städtische Scharfrichter, schwitzend die steile Wendeltreppe des Brückenturms. Der Dominikaner erwartet ihn oben schon und sie gehen gemeinsam zu dem kleinen, separaten Kerker, in welchem seit dem gestrigen Tag Mariechen Zorn untergebracht ist. Die junge Frau ist die erste Delinquentin in Frankfurt, die der Hexerei bezichtigt wird. Ihr Ehemann, der sie angezeigt hat, behauptet, sie hätte den kleinen Sohn getötet und ihn selber mit einem bösen Zauber belegt.
Nachdem die Gefangene vom Henker geschoren und von dem Geistlichen bezüglich des Hexenmals untersucht worden ist, wobei er sie mit einer sieben Zentimeter langen Ahle in verschiedene Pigmentflecken stach * , ordnet der Inquisitor an, nun mit der peinlichen Befragung zu beginnen. Die Vernehmung müsse „leicht und ohne Blutvergießen“ durchgeführt werden. Es genüge also, wenn der Züchtiger zunächst die „allerleichteste Befragung“ anwende, nach der manchmal schon ein volles Geständnis abgelegt werde.
Der Anordnung folgend, wird die Delinquentin vom Henker an den Daumen knapp über dem Boden aufgehängt. Der Dominikaner lässt sich hinter einem Schreibpult nieder und beginnt damit, der jungen Frau mit dünner, emotionsloser Stimme die Anklageschrift vorzulesen:
„Ihr Ehemann, der ehrbare Zunfthandwerker Anton Zorn, beschuldigt Sie, ihm eine ,Mumie’ * unter den Strohsack gelegt zu haben, die
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