Die Siechenmagd
gelegentlich, hilft einander auch mal aus, wenn es nötig ist. Alles in allem beruht dieser Kontakt eher auf Zwang, denn auf wirklicher Neigung: Zum einen ist der Henker der Dienstvorgesetzte des Abdeckers, zum anderen gehören beide zu den Berufsgruppen, die mit der macula infamiae * versehen sind und dadurch zu den Parias der Gesellschaft zählen. Was also bleibt den Ausgestoßenen und ihren Angehörigen anderes übrig, als Kontakte mit ihresgleichen zu suchen?
Unwillig nähert sich Mäu der Verkaufsbude. Na, die kommt mir grad noch geschlichen! denkt sie ärgerlich.
„Mäu, was ist denn mit dir los? Hast glatt durch mich durchgesehen eben. Na, wie geht’s denn so bei euch daheim?“
„Ganz gut soweit. Und wie läuft das Geschäft bei euch?“
„Komisch, heute wollen alle nur Galgenmännchen. Hab schon einen ganzen Korb davon verkauft“, sagt die dicke Frau, beugt sich geschäftig über einen Zuber und schlägt das Sackleinen zurück. Das Behältnis ist bis zum Rand gefüllt mit merkwürdig gekrümmten erdigen Wurzeln, den so genannten Erdmännchen, Galgenmännchen oder Alraunen. Diesen Wurzeln, die unter dem Galgen ausgegraben werden, schreibt man magische Kräfte zu, sie gelten als wirksame Zauber- und Wundermittel.
„Und von den anderen Sachen noch kaum was.“ Ilse weist auf die ordentlich aufgereihten Utensilien in ihrer Verkaufsbude. Da liegen Stücke vom Galgenstrick neben Phiolen und Tiegeln in unterschiedlichen Größen und Farben. Die meisten enthalten die bekannten „Henkerstropfen“, gerne als Pestelixier, Allheilmittel oder Aphrodisiakum verwendet, die Meister Hans, der Henker nach einem gehüteten, alten Familienrezept herstellt. Niemand, nicht einmal Ilse, kennt genau die Bestandteile dieses Wundermittels. Es schmeckt scheußlich, aber es wirkt in den meisten Fällen, schwört zumindest die Kundschaft, die sich aus nahezu allen gesellschaftlichen Schichten zusammensetzt. Der Galgenstrick gilt als gefragtes Amulett oder Talisman, das seinen Träger vor Gefahren jeglicher Art bewahrt. Zu Mäus persönlichen Schätzen gehört neben einem Stück Galgenstrick auch ein Henkershandschuh, den ihr Meister Hans einmal persönlich verehrt hat.
„Aber zeig dich doch mal, Mäu, was hast du denn für ein feines Schuhwerk an den Füßen“, bemerkt die Frau des Henkers erstaunt. „Wo hast du denn die her, so was Vornehmes kann sich von uns doch keiner leisten, na sag schon“, bohrt sie neugierig weiter.
„Und überhaupt, gut schaust du aus! Wie fein du einhergehst. Na, als Siechenmagd bei den Leprösen verdient man ja gut. Aber Gott behüt! Ich würd’s nicht machen wollen, für kein Geld der Welt nicht! Ich für meinen Teil denk, es wird langsam Zeit, dass du endlich einen Bräutigam findest. Am besten ein gestandenes Mannsbild, der sich für dich verwendet und der auf dem Abdeckerhof mit zu entscheiden hat. Dann wär’s auch bestimmt bald vorbei mit deinem Siechen, denn welcher Mann würde das denn schon mitmachen. Vor einer Frau, die den Feldsiechen um den Bart geht, graust es doch jeden gesund beschaffenen Kerl…“, schwadroniert Ilse, ohne Luft zu holen.
„Jetzt reicht es mir aber, alte Schnatterbüchse! Haltet endlich den Schnabel und lasst mich meiner Wege ziehen“, zischt ihr Mäu aufgebracht entgegen und lässt die empörte Henkersgattin einfach stehen.
Während sie sich durch das Messegetümmel langsam ihren Rückweg bahnt, steht sie unvermittelt zwei jugendlichen Bettlern gegenüber.
„Jungfer, oh Jungfer, so helft uns doch in unserer Not!“, schnorren sie sie an.
Der eine, hoch aufgeschossen und etwa im gleichen Alter wie Mäu, hat rötliche, vom Kopf wild abstehende Haare und ein hübsches, sommersprossiges Jungengesicht, der andere, etwas ältere Junge, ist groß und muskulös und hat ein verwegenes Antlitz mit harten, kalten Augen. Beide Jungen tragen zerlumpte, verschlissene Kleidung und riechen streng nach altem Schweiß.
„Viel kann ich euch nicht geben, denn es gehört mir nicht, was ich bei mir trage. Bin selber nur eine Magd“, reagiert Mäu zurückhaltend auf das Ansinnen der beiden. Kurzentschlossen greift sie dann aber doch in ihren Korb und übergibt den Jungen zwei Äpfel und ein Stück Käse.
„Danke, Gevatterin. Gott vergelt’s dir“, bedankt sich der Rothaarige. „Wie heißt du denn und wo bist du in Diensten? Dürfen wir ein Stück mit dir gehen?“, insistiert er weiter.
„Ich heiße Mäu und bin die Tochter des Schinders. Wir leben weit
Weitere Kostenlose Bücher