Die Siechenmagd
beauftragt, dort verschiedene Waren für ihn zu erwerben. Während sie den Main entlangläuft, an dessen Ufer ein paar Gassenkinder aus dem Galgenviertel kleine Holzboote schwimmen lassen, ist sie in Gedanken bereits mitten im Getümmel. Vielleicht trifft sie ja dort auch den Flugblatthändler wieder. Prüfend schaut sie an sich herunter und ist beim Anblick des neuen, lindgrünen Leinenkleides eigentlich ganz zufrieden. Sie fühlt sich wohl in dem leichten Gewand, das ihr Dienstherr für sie in der Stadt bei Schneidermeister Albrecht hat anfertigen lassen, gemeinsam mit zwei anderen Gewändern für die warme Jahreszeit, aus feinem, leichten Linnen in hellem Ocker und zartem Blau. Dazu hat sie noch verschiedene gestärkte Hauben bekommen und ein paar Kuhmaulschuhe * aus weichem Kalbsleder, auf die sie besonders stolz ist. Es ist für sie ein neues, ungewohntes Lebensgefühl, nicht mehr in schäbigen Lumpen rumlaufen zu müssen, wie früher immer, und sie kommt sich auf einmal richtig ansehnlich vor. Ob der mich so überhaupt noch erkennt!
Aber die adrette Ausstaffierung und das gewisse Wohlleben, die ihr durch ihren großzügigen Dienstherrn ermöglicht werden, haben auch ihren Preis, wie sie inzwischen längst weiß. Das fängt schon morgens an, wenn sie ihn rasieren muss und ihm dabei so nahe kommt, dass sie seinen unguten Siechengeruch wahrnimmt. Neuhaus indessen scheint diese Nähe augenscheinlich zu genießen und er liebt es, sie bei ihren Verrichtungen zu tätscheln und zu necken, wie ein possierliches Tierchen – was Mäu mit stummem Widerwillen über sich ergehen lässt und sich damit vertröstet, dass diese Zeit ja bald ausgestanden sein wird.
Am Monatsende, wenn sie ihren ersten Lohn erhält, wird sie so schnell wie möglich türmen!
Der einzige Lichtblick auf dem Gutleuthof ist für Mäu Katharina Beltz. Vor ein paar Tagen hat sie Mäu zum ersten Mal zu sich eingeladen. In ihrem behaglichen Zimmer im Frauentrakt haben sie gekühlten Granatapfelsaft getrunken und Katharina hat Mäu ihre Bücher- und Gemäldesammlung gezeigt. Mäu war richtig verängstigt beim Anblick der seltsamen kleinen Quälgeister und Unholde auf den Bildern, die ihr wie Höllengestalten aus bösen Träumen vorkamen. Den einen oder anderen Bösewicht aus dem wirklichen Leben glaubte sie in den Gesichtszügen der Höllenschar, halb Mensch, halb Tier, zu erkennen und fühlte sich dadurch aufgewühlt und verstört. Katharina erzählte ihr von dem Maler, den sie noch aus ihrem gutsituierten Leben in Frankfurt kannte, wo dieser bei der Familie Beltz zu Gast war. Sein Name ist Jheroen van Aken und er stammt aus der Stadt s’Hertogenbosch in Flandern. Man nennt ihn darum auch Hieronymus Bosch. Er ist ein großer, berühmter Maler aus einer angesehenen Malerfamilie. Katharinas Augen leuchteten, als sie Mäu von ihm erzählte. Was hatte sie doch für ein glanzvolles, abwechslungsreiches Leben geführt, bevor sie in dieser Einöde hier, von allem abgeschnitten, leben musste! Wieder und wieder hat sie mit ihrem Schicksal gehadert, dem Mäu mit betretener Miene nichts entgegenzusetzen wusste.
Für Katharina soll sie Rosenwasser und Sandelholzessenz auf der Messe besorgen. Mäu kann es nun gar nicht mehr erwarten, dorthin zu kommen. Von jeher war die Messe für sie ein Höhepunkt in ihrem tristen Leben. Auch wenn sie nie das Geld hatte, etwas von den feinen Waren zu kaufen, so gab es doch immer so viel zu bestaunen.
Auf der Frankfurter Messe sammelt sich einfach alles: Adelige aus dem Taunus und der Wetterau, Kaufleute aus aller Herren Länder, einheimische Stadtbürger und Patrizier, Bauern aus den Frankfurter Dörfern und dem Umland, Stadtarme, die konkurrierend mit den Heerscharen von ortsfremden Bettlern an allen Ecken und Enden flehend die Hände aufhalten und natürlich jede Menge Huren, aus Frankfurt und von überall her, die regelmäßig zur Messe die Stadt überschwemmen. Und schließlich noch diejenigen, die die vielfältigsten Zerstreuungsmöglichkeiten und Possenreißereien anbieten, dabei aber außerhalb von oben und unten stehen: die fahrenden Leute.
Als Mäu die Mainzerpforte passiert, herrscht dort bereits ein ständiges Kommen und Gehen von Fuhrwerken, Reitern und Fußgängern.
Das Messegeschehen beginnt schon unten am Mainufer, erstreckt sich weiter über den gesamten Römerberg, die Neue Krame und den Liebfrauenberg, bis hin zum Rossmarkt in der Neustadt. Die Erdgeschosse der Häuser dienen als Verkaufsräume, davor sind
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