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Die Siechenmagd

Die Siechenmagd

Titel: Die Siechenmagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Neeb
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nimmt ihren ganzen Mut zusammen und bewegt sich wie in Trance in seine Richtung, den Blick gesenkt. Vielleicht erkennt er mich ja gar nicht mehr, dann geh ich einfach wieder heim … ! Doch in der nächsten Minute bemerkt sie aus den Augenwinkeln heraus, wie er ihr zuwinkt, und sogleich vernimmt sie auch sein Rufen. Etwas verlegen und nervös, aber auch erfreut, bewegt sie sich nun zielstrebig auf ihn zu. Er begrüßt sie wie eine alte Bekannte und zieht sie übermütig neben sich auf den Boden.
    „Schön, dass du da bist! Ich hab da vorne schon die ganze Zeit nach dir Ausschau gehalten und bin gerade eben wieder hierher gekommen, wo auch der Rest unserer ,Familie’ ist. Also ich stell sie dir jetzt mal alle vor:
    Das hier ist der ,Hering’, der ist dünn und glatt wie ein Aal und kann sich durch das engste Loch, aber auch durch den dicksten Schlamassel durchwinden.
    Und der hier, das ist unser ,Bettseicher’. Der ist ziemlich lahm und wenig mutig, dafür aber blitzgescheit und außerdem ist er der Einzige von uns, der lesen und schreiben gelernt hat.
    Dort hinten haben wir unsere schielende ,Rotznas’, das ist die Schwester vom ,Schlimmen’. Auf Kommando kann sie herzzerreißend losplärren. Außerdem versteht sie es, den Veitstanz vorzutäuschen, dass jeder Fallsüchtige von ihr noch was abgucken könnt.
    Die Dunkle da, ist die ,Elster’, die mit flinken Fingern alles einsacken kann, was nicht festgebunden ist.
    Und der ,Schlimme’ den du heute Nachmittag ja schon kennen gelernt hast, ist stark wie ein Bär und fürchtet weder Tod noch Teufel. Der kämpft bis aufs Blut, wenn’s mal brenzlig wird.
    So, und das einäugige Ungeheuer dahinten ist die ,Blatterntäsch’, der fingerfertig wie kein anderer, sämtliche Taschenspieler- und Kartentricks drauf hat. Außerdem kann er aus dem letzten Schund noch was Brauchbares herstellen und versteht sich bestens aufs Reliquienfälschen.
    Und ich, ich bin der Capitein von dem ganzen Haufen hier“, endet der Bandenführer und lacht Mäu frech an.
    Mäu, noch etwas schüchtern, macht sich zaghaft mit den jungen Leuten bekannt und erzählt, dass sie die Fähigkeiten von der „Rotznas“ und der „Elster“ schon am Nachmittag an einem Metzgerstand bewundern konnte, was zur allgemeinen Erheiterung beiträgt.
    „Mist!“, erwidert die Elster ärgerlich. „Wenn das die Falschen mitgekriegt hätten, wären wir jetzt dran. Ich glaub, wir müssen in Zukunft noch mehr üben“, setzt sie trocken hinzu.
    Es wird nun beschlossen, endlich zu nachtmahlen. Der Fuchs breitet eine Decke auf den Boden und legt darauf verschiedene Würste, Schinken, Käse und Brot. Auch die zwei Äpfel von Mäu kommen dazu. Diese vervollständigt das Ganze noch mit den Speisen, die ihr Neuhaus mitgegeben hat.
    „Und hier haben wir auch noch was Feines zu saufen!“, ruft die Elster und zaubert eine dicke Korbflasche Wein unter ihren Röcken hervor.
    Alle haben Hunger und greifen ordentlich zu, der Wein macht die Runde und die Stimmung wird immer besser. Mäu taut mehr und mehr auf, schon lange hat sie sich nicht mehr so wohl gefühlt. Sie erzählt von sich und erfährt auch etwas über die Bande.
    Alle, außer dem Bettseicher, sind elternlose Kinder, die seit vielen Jahren auf der Wanderschaft sind. Nach und nach haben sie sich zu einer Bande zusammengeschlossen, die ihnen allen so etwas wie eine Familie geworden ist. Sie schlagen sich mit kleinen Gaunereien und Diebstählen, mit Betteln, aber auch mit gelegentlicher Tagelöhnerei und Botengängen durchs Leben. Jeder von ihnen erhielt einen neuen Namen, auf den er fortan zu hören hatte. Ihre Spitznamen würden sie ihr Leben lang beibehalten, das hatten sie sich gegenseitig geschworen. Sämtliche Beute und Diebesgut, erbetteltes Geld und Lebensmittel müssen abends dem Capiteln übergeben werden. Der Fuchs gibt ihnen, was sie zum Lebensunterhalt benötigen, bezahlt für sie im Wirtshaus und sorgt für das Wohlergehen seiner Bandenmitglieder. Im Sommer kampieren sie in Fässern oder in alten Kähnen am Fluss, im Winter schlafen sie in den Markthallen, in Scheunen und Kellern, oder finden zeitweiligen Unterschlupf bei mitleidigen Menschen, denen sie als Dank dafür in Haus oder Werkstatt zur Hand gehen.
    Es ist schon spät geworden und die Stadttore sind inzwischen längst geschlossen. Mäu bleibt also nichts anderes übrig, als bei der Bande zu nächtigen und im Morgengrauen den Heimweg anzutreten. Einerseits ist sie froh darüber, noch hier

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