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Die Siechenmagd

Die Siechenmagd

Titel: Die Siechenmagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Neeb
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fernen Land weit im Osten, jenseits der großen Steppe. Mäu ist von dem süßen, schweren Duft wie betäubt.
    „Er bewirkt, dass ein Mann bei einer Jungfer wie von Sinnen wird vor Liebe und Begehrlichkeit. Ihr werdet schon sehen…“, setzt er schelmisch hinzu. Mäu errötet und zieht es vor, sich zu entfernen. Die Waren hat sie in ihrem Korb gut verstaut und mit einem Tuch vor Dieben gesichert. Sie gelangt zu einem Stand, an dem Zwiebeln und Suppenhühner neben Gänsen und Gänsefedern feilgeboten werden. Direkt daneben liegen eingesalzene Fische in allen Größen, die einen penetranten Fischgeruch verströmen.
    Vor einem Stand mit Würsten und Schinken in allen Variationen scheint es einen Auflauf zu geben. Mäu sieht, wie dort ein kleines Mädchen auf dem Boden liegt und wild mit den Augen rollt. Sie wird von konvulsivischen Krämpfen geschüttelt, weißer Speichel rinnt ihr aus dem Mund. Einige der Anwesenden versuchen, dem Kind zu helfen, indem sie es festhalten und den wild kreisenden Kopf nach unten drücken. Einer presst ihr das Kreuz eines Rosenkranzes auf die Stirn.
    „Das ist der Veitstanz oder die Hundswut“, ruft der dicke Metzger hinter seinem Stand. „Man muss sie mit Nadeln stechen und geweihtes Wasser über sie schütten“, fügt er belehrend hinzu.
    „Unsinn, Gevatter, das beste Rezept gegen Fallsucht sind Maulwürfe! Man lege am Johannistag dreizehn lebende Maulwürfe in einen großen Tontopf, den man mit einem Deckel versehe und zukitte. Dann wird der Topf so lange auf glühende Kohlen gesetzt, bis die Maulwürfe gut durchgebrannt sind, worauf man sie zu Pulver zerstößt. Davon eine halbe Messerspitze in Milch aufgelöst, bewirkt Heilung“, doziert ein hagerer Mann im gewichtigen Tonfall eines Gelehrten. Die Menge lauscht ihm mit offenen Mäulern, der Metzgermeister versucht, ihn immer wieder ärgerlich zu unterbrechen, doch der Hagere leiert unbeirrt seinen Sermon herunter. Plötzlich nimmt Mäu aus den Augenwinkeln heraus eine Bewegung war: Am anderen Ende des Metzgerstandes steht ein Mädchen in ihrem Alter und steckt blitzschnell Würste und Schinken unter ihr Gewand, wendet sich um und verschwindet flinken Schrittes im Messetreiben. Niemand außer Mäu scheint den Diebstahl bemerkt zu haben und sie wird den Teufel tun, deswegen auch nur einen Muckser von sich zu geben. Sie weiß, dass manchen Armen nichts anderes mehr übrig bleibt, als zu stehlen, um überleben zu können. Der feiste Metzgermeister wird das schon verkraften und den Verlust sicherlich bald reinholen. Das Mädchen auf dem Boden scheint sich inzwischen beruhigt zu haben und kommt langsam wieder zu sich.
    „Ich will zu meiner Mutter“, quengelt es schniefend. Mäu fällt auf, dass die Kleine gewaltig schielt.
    „Wo ist denn deine Mutter, Kind? Man sollte dich besser nicht ohne Obhut gehen lassen“, setzt der Dürre hinzu und fasst sie am Arm, um ihr aufzuhelfen. Die Kleine schüttelt ihn ab, erhebt sich und blickt ein wenig gehetzt um sich. Dann läuft sie kurzentschlossen wie ein Wiesel durch die Menschenmenge davon.
    „Undankbare Rotznase“, sagt der Mann mit dem Gelehrtenhabitus, schüttelt den Kopf und schaut Zustimmung heischend in die Runde. Doch die beginnt sich bereits aufzulösen und niemand beachtet ihn mehr weiter. Erst recht nicht der Metzgermeister, der sich mit beleidigter Miene abwendet und sich an seinen Würsten zu schaffen macht. Mäu hat der Schielenden zwar nachgeblickt, sie aber schnell aus den Augen verloren. Das war doch eben eine abgekochte Schose!, denkt sie sich. Naja, haben sie gut hingekriegt, die beiden.
    Sie geht weiter zwischen den einzelnen Schirnen hindurch und ersteht Wein, Käse und Obst. An der Schirn der Frankfurter Metzgerinnung kauft sie geräucherte Würste und Schinken. Ihre Besorgungen hat sie nun erledigt und genießt es, sich einfach treiben zu lassen, obwohl sie inzwischen ein wenig enttäuscht darüber ist, dass sie bislang nirgendwo den Flugblatthändler entdecken konnte.
    Schlagartig wird sie von einer keifenden Frauenstimme aufgeschreckt, die lauthals ihren Namen ruft:
    „Mäu, Mäu, ei hör doch endlich, geh mal her, na mach schon, bist du taub!“, fuchtelt und winkt eine dicke Frau aus einer Verkaufsbude. Das runde Gesicht mit dem Doppelkinn glänzt vor Schweiß, der gewaltige Busen wogt aufgeregt. Es ist Ilse, die Frau des Henkers, die Mäu von frühster Kindheit an vertraut ist, denn die Abdeckerfamilie ist mit der Henkersfamilie gut bekannt. Man besucht sich

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