Die Siechenmagd
Tische aufgebaut, über diesen, an straff gespannten Leinen, hängen die unterschiedlichsten Waren.
Begehrlich gleiten Mäus Blicke über die feinen Stoffe, die an einigen Ständen angeboten werden. Besonders die prachtvollen Samt- und Seidenstoffe der italienischen Händler haben es ihr angetan. Es scheint wirklich nichts zu geben, was es auf der Messe nicht zu kaufen gibt – vorausgesetzt, man hat das nötige Kleingeld einstecken! Beinlinge in allen Farben und edle Hüte aus Brabant, spanisches Leder, niederländische Schuhe, nordische Pelze, polnisches Wachs, venezianisches Glas, Kupfer und Messing aus Österreich und Böhmen, Geschmeide und Goldschmiedearbeiten aus Nürnberg und Köln, Pferde aus Ungarn, elsässischer und rheinischer Wein, Spezereien des Orients und Südfrüchte aus dem Welschenland. Was kostet die Welt!
Käufer und Händler, Schaulustige und Schausteller, Wohlhabende und Bettler, alles drängt sich zwischen Buden, Zelten, Tischen und Karren. Man hört das laute Anpreisen der Marktschreier, durchsetzt von Flöten- und Fidelklängen, Pauken und Trompeten, Sackpfeifen und Trommeln. Dazwischen tönen die Bittverse der flehenden Leute oder das Gegröle von Betrunkenen.
Für die zahlreichen großen und kleinen Scharlatane, die von der Messefreiheit * genauso profitieren wie die ehrenwerten Zunfthandwerker und großen Kaufleute, beginnt das dicke Geschäft erst nach ein paar Tagen. Dann haben die Bauern aus dem Umland schon einen Teil ihrer Waren verkauft und das Geld sitzt ihnen locker. Ausgebuffte Geschäftemacher haben dann alle Hände voll zu tun, den einfältigen Dörflern und gutgläubigen Bürgern die Münzen so schnell wie möglich wieder aus den Taschen zu ziehen.
Mäu schaut einem Reliquienhändler zu, der emsig seine Schätze aufbaut. Der Lotterpfaffe * verkauft Holzsplitter vom Kreuze Christi, blutgetränkte Kleidungsfetzen von verschiedenen Märtyrern, vom Papst geweihte Buchsbaumsträußchen, Rosenkränze und viele Wundermittel und Kuriositäten mehr. Außerdem verfasst er gegen Gebühr Schriftstücke für die schriftunkundige Bevölkerung.
Sie schlendert weiter und gelangt zu einer Bretterbühne, vor der sich eine grölende Menschenmenge versammelt hat. Fahrende Possenreißer führen gerade ein Schauspiel auf. Neugierig geworden verweilt Mäu in dem Gedränge vor der Bühne, um dem Spektakel zu folgen:
Ein fetter, geistlicher Würdenträger treibt Unzucht mit einer jungen Hübscherin. Dabei verliert er seinen Bischofshut, fällt vornüber und wird vom Schlag getroffen. Ein Teufel eilt kreischend und feixend herbei und sticht ihm mit einer Mistgabel ins blanke Gesäß. Dem Bischof entfleucht dabei ein lauter Furz – sein letzter – , bevor ihn der Satan, untermalt von Blitz und Donner, mit sich in die Hölle zerrt.
Die Menge johlt vor Vergnügen, gibt ständig Kommentare und Anfeuerungen von sich.
Wie viele Stücke der fahrenden Komödianten, so greift auch diese Aufführung die Obrigkeit an und macht sie lächerlich. Dies alles, gewürzt mit reichlich Zoten und Derbheit, kommt beim einfachen Volk gut an, das schon längst genug hat von den trockenen Kanzelrednern, die ihnen immer nur von Buße und Entsagung predigen und dabei selber oft genug der Völlerei und der Unzucht frönen.
Mäu lacht lauthals über die Posse und freut sich wie alle einfachen Leute darüber, dass es wenigstens auf der Bühne eine gerechte Strafe für die Mächtigen gibt.
Sie zieht weiter zu einem Planwagen, vor dem Kranke und Krüppel warten. Einige werden von ihren Angehörigen auf dem Rücken herbeigetragen. Sie alle wollen die Kunst des berühmten Wunderdoktors in Anspruch nehmen, von dem es heißt, er brauche nur dem Kranken in die Augen zu schauen und wüsste dann, was ihm fehlt.
An einem Stand, der Spezereien und Schmuck aus dem Morgenland anbietet, verweilt sie wie gebannt. Kostbare Stoffe in leuchtenden Farben sind ausgebreitet, auch Gewürze aus Indien, edle Damaszener-Klingen und türkischer Honig werden feilgeboten. Weihrauch-, Myrrhe- und Patschulidüfte umwehen den Verkaufstisch.
Sie zwängt sich durch und ersteht zum ersten Mal in ihrem Leben Sandelholzöl, Rosenwasser und Weihrauch, den Ulrich Neuhaus zur Reinigung der verpesteten Luft auf dem Gutleuthof stets anzuzünden pflegt. Der Händler, der Mäu zuvorkommend bedient, bestreicht ihre Handgelenke mit einem wohlriechenden Öl aus einer zierlichen Phiole aus rubinrotem Glas. Er erzählt, es sei kostbarer Moschusduft aus einem
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