Die Siechenmagd
bleiben zu können, andererseits hat sie große Angst vor dem Vater, der ihr bestimmt die Hölle heiß machen wird.
„Dann bleib doch ganz bei uns und zieh mit uns über die Lande. Etwas Besseres als die Abdeckerei und den Gutleuthof findest du überall“, schlägt der Fuchs vor und legt den Arm um sie. Mäu spürt bei dieser Berührung ein starkes Prickeln in sich aufsteigen. Die ganze Zeit schon ist sie wie kribbelig von seiner Nähe und muss ihn immer wieder anschauen.
„Wenn ich mein erstes Geld bekomme, hau ich mit euch ab! Aber das dauert noch ein Weilchen und ich weiß nicht, ob ihr so lange auf mich warten wollt“, erwidert Mäu mit glänzenden Augen.
„Wenn wir in der Gegend einen Unterschlupf finden und die Möglichkeit, ein paar Kröten zu verdienen, wär das eine Überlegung wert“, entgegnet der Fuchs und schmiegt dabei sein Bein an ihres.
Mäu, trunken von Wein und Wohlbehagen, merkt, wie ihr die Lider schwer werden und sie lässt sich auf die Decke zurücksinken, die der Fuchs unter ihnen ausgebreitet hat. Auch die anderen bereiten müde geworden ihre Nachtlager vor. Als sich der Fuchs neben sie legt, erklingt vom Turm der westlichen Stadtmauer das Trompetenspiel des Nachtwächters, gefolgt von seinem Bittvers für die erste Stunde nach Mitternacht:
„Aus der Nacht verborgnem Schoß
Macht der böse Feind sich los ,
Schleicht mit leisen Mörderschritten
Um der Menschenkinder Hütten.
Böser Feind, hast keine Macht:
Jesus betet, Jesus wacht.“
Eine Weile liegen sie stumm und angespannt nebeneinander, trotz der Müdigkeit noch wach und blicken in den klaren Nachthimmel. Da huscht plötzlich eine Sternschnuppe über das Firmament, im Bruchteil von Sekunden den feurigen Schweif eines Kometen hinter sich her ziehend.
Beide sehen es, blicken sich staunend an, und als hätten sie auf ein solches Signal nur gewartet, fallen sie einander in die Arme und hören nicht mehr auf, sich in wilden Küssen zu verbünden, bis der Morgen graut und der Frühtau sie frösteln lässt.
„Auch wenn ich viel lieber hier bleiben würde, ich muss jetzt los. Es gibt garantiert Ärger daheim. Aber sei’s drum, das bin ich ja gewohnt. Außerdem war es so schön“, flüstert Mäu dem Fuchs zu und verabschiedet sich mit einem langen Kuss. Widerwillig erhebt sie sich von ihrem Liebeslager, als ihr der Fuchs vorschlägt, sie ein Stück zu begleiten. Freudig nimmt Mäu sein Angebot an und sie brechen auf.
Als sie die westliche Stadtmauer hinter sich lassen und auf das freie Feld zusteuern, wendet sich Mäu an ihren Begleiter:
„Ach, bin ich froh, dass du mit mir gehst, denn es ist mir schon ein bisschen mulmig, wenn ich an später denk.“
„Ist doch Ehrensache! Außerdem bin ich gern bei dir“, entgegnet der Fuchs mit belegter Stimme, während sie die Galgengasse entlang laufen.
Die Bewohner des Galgenfelds scheinen noch zu schlafen, keine Menschenseele ist zu sehen, nur das Krähen der Rabenvögel und Elstern, die sich wie immer um den Galgen tummeln, ist zu vernehmen.
Schweigsam laufen die beiden am Mainufer entlang, von dem die Nebelschwaden aufsteigen. In der Ferne der westlichen Stadtgemarkung zeichnen sich schon die Umrisse des Abdeckerhofs ab.
„Jetzt sind wir bald da. Du kannst langsam zurückgehen, es ist nicht mehr weit“, sagt Mäu zu ihrem Begleiter.
„Also, halt die Ohren steif und lass dich nicht unterkriegen. Vielleicht können wir uns ja am Abend sehen. Wir halten jedenfalls erst mal da unten die Stellung und warten auf dich“, entgegnet der Fuchs und zieht sie in seine Arme. Sie küssen und umarmen sich immer und immer wieder, mit einem Feuer, als wäre es das letzte Mal.
Am besten, ich geh gar nicht erst heim und mach mich gleich zum Gutleuthof, überlegt Mäu und nähert sich mit einem flauen Gefühl im Bauch dem Leprosorium. Als sie sich dem Portal nähert, weiß sie warum:
Dort erwartet sie bereits ihr Vater, der auf dem Kutschbock seines Eselkarrens sitzt und Mäu finster entgegenblickt. Na, da haben wir ja schon den Schlamassel! Zögernd, in Erwartung eines heftigen Donnerwetters, geht Mäu auf ihn zu.
„Wo kommst du denn jetzt her, du Luder? Das sagst du uns auf der Stelle, sonst werden wir dich Mores lehren!“, kreischt der Schundmummel mit sich überschlagender Stimme, springt von seinem Kutschbock und eilt auf Mäu zu, die in Panik vor ihm flüchtet und laut um Hilfe rufend immer wieder mit den Fäusten gegen das schwere Eichenportal des Gutleuthofes
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