Die Siechenmagd
lallend, dass es nun allmählich Zeit wird, schlafen zu gehen.
Mäu, innerlich auf dem Sprung, das ganze Schauspiel mit angehaltenem Atem beobachtend – genauso hat sie es sich erhofft! –, begibt sich nun ebenfalls zu ihrer Schlafkoje und wünscht der Mutter eine gute Nacht. Eine ganze Weile noch lauscht sie, vollkommen angekleidet in ihrer Koje sitzend, den regelmäßigen Atemzügen der Mutter. Dann steht sie auf und schleicht auf leisen Sohlen zum Fenster hin, atmet tief durch und öffnet es nahezu geräuschlos mit einem festen Ruck, drückt kraftvoll gegen den schweren Holzladen, der sich ebenfalls problemlos auseinander schieben lässt und spürt mit einem Mal die kühle Nachtluft im Gesicht. Vorsichtig, aber flink klettert sie nach draußen, lehnt die Fensterflügel wieder an und klappt den Laden bei, denn es braucht ja niemand gleich zu merken, dass sie auf und davon ist! Die werden es noch früh genug mitkriegen, dann ist sie aber mit ihren Kumpanen hoffentlich schon weit, weit weg…!
Jetzt muss sie nur sehen, dass sie keinen Fehler macht. Nicht am Ende noch dem Alten über den Weg läuft bei seiner nächtlichen Fuhre, oder sonstwem Unguten. Während sie mit ausholenden Schritten über die Felder in Richtung Frankfurt eilt, bewusst die ausgetretenen Feldwege meidend, fühlt sie sich bei aller gebotenen Vorsicht doch mit einem Mal unsagbar befreit, durchdrungen von Abenteuerlust und wilder, lang entbehrter Lebensfreude, die sie, gemeinsam mit der Sehnsucht nach dem Fuchs und der Vorfreude, ihm bald nahe sein zu können, vorantreiben wie ein kräftiger Rückenwind. Leider wird sie sich noch bis zum Morgen gedulden müssen, denn die Stadttore sind über Nacht geschlossen und werden nur in bestimmten Ausnahmefällen geöffnet, wie zum Beispiel heute Nacht für den Vater mit seinem Jauchekarren – dem sie aber weiß Gott nicht begegnen will! Am besten wird es sein, sich im Galgenviertel einen Unterschlupf zu suchen. In Gedanken geht Mäu verschiedene Möglichkeiten durch und entscheidet sich schließlich für den Gasthof „Zur schwarzen Katz“. Die Wirtsleute, Felicitas und Berthold, die alte Freunde ihrer Muhme Martha sind, sind ihr gewiss wohlgesonnen und werden sie bestimmt für eine Nacht kostenlos bei sich aufnehmen. In der Schenke, die gleichzeitig auch eine Herberge ist, verkehren viele Fahrende, Leute aus dem Galgenviertel, zuweilen auch Räuber, Huren und Beutelschneider. Als Mäu sich der Gastwirtschaft nähert, sieht sie, dass noch Licht hinter den kleinen Butzenscheiben flackert. Über der Eingangstür baumelt das Schild mit dem schwarzen Katzenkopf beträchtlich hin und her, ein kräftiger Wind ist aufgekommen und Mäu fröstelt es leicht. In das Holz des verwitterten Türrahmens sind unübersehbar drei Kreuze geritzt. Dieses Geheimzeichen weist die Herberge als „astreinen Ort“ für Fahrende aus.
Als sie den Schankraum betritt, wird sie von den Wirtsleuten mit Erstaunen im Blick begrüßt, denn es kommt nicht gerade häufig vor, dass sie hierher kommt. Sie verzieht sich an einen kleinen Tisch hinten in der Ecke, der ziemlich im Halbdunkel liegt und wartet, bis einer von den beiden auf sie zukommt. Nachdem sie die anderen Gäste versorgt hat, eilt die Wirtin an Mäus Tisch und fragt freundlich nach ihrem Begehr.
„Ich bin ein bisschen in der Bredouille, Feli. Bin von daheim abgehauen, kann ich heute Nacht bei euch pennen?“, fragt Mäu ohne Umschweife.
„Sicher kannst du das! Im Haus haben wir zwar keinen Platz mehr, aber du kannst im Eselsschuppen schlafen. Ich kann dir eine Decke bringen, da kannst du’s dir auf dem Stroh bequem machen. Hast du wieder Zores mit deinem Alten? Na, das muss ja auch ein ziemlicher Grobian sein, wie ich von Martha weiß“, entgegnet die Wirtin abwinkend. Mäu nickt stumm und blickt Feli aus gehetzten Augen entgegen.
„Na, dann trink erst mal was. Ich bring dir einen Roten, der beruhigt dich ein bisschen. Dann schläfst du schön und du wirst sehen, morgen ist bestimmt schon das Fett von der Suppe“, versucht die Wirtin zu trösten.
„Feli, ich hab aber kein Geld, ich kann nicht bezahlen, deswegen lass das mal lieber mit dem Wein“, äußert Mäu betreten.
„Das macht doch nix, Mädel, der geht aufs Haus!“, entgegnet die Wirtin resolut und läuft zum Schanktisch. Kurz darauf kehrt sie mit einem Krug Rotwein und zwei Bechern zurück, nimmt Mäu gegenüber Platz, schenkt ein und prostet ihr fröhlich zu. Wie immer ist Mäu von der besonderen
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