Die Siechenmagd
Attraktivität der Hausfrau beeindruckt. Während Berthold, der Wirt, ein ziemlich bulliger Kerl mit Stiernacken und Händen wie Grabschaufeln ist, umgibt Felicitas mit ihren delikaten, exotisch anmutenden Gesichtszügen etwas ganz und gar Außergewöhnliches. Pechschwarze, volle Haare umrahmen ein herzförmiges Gesicht mit schräg geschnittenen hellgrünen Augen. Die wohlgeformte, leicht nach unten gebogene Nase mit ovalen Nüstern passt wunderbar zu einem zierlichen Mund, dessen Winkel wie in einem Dauerlächeln nach oben gebogen sind. Ihr Teint ist dunkel, wie der einer Sarazenin und entgegen der herrschenden Mode, die Augenbrauen auszuzupfen, thronen auf der kleinen Stirn mit dem spitz zulaufenden Haaransatz dichte schwarze Brauen in kühn geschwungenen Bögen, die sich in der Mitte fast berühren.
Auch ihre körperliche Erscheinung entspricht nicht dem Schönheitsideal ihrer Zeit, die ätherische, engelsgleiche Geschöpfe mit feingliedrigem Körperbau bevorzugt. Felicitas neigt zur Fülligkeit und hat volle, schwere Brüste, die sie nicht einschnürt, um flachbrüstiger zu wirken.
Die Wirtin, die eine enge Freundin von Martha ist, war früher ebenfalls Hübscherin im Frankfurter Frauenhaus. Dort lernte sie auch Berthold kennen, den sie später heiratete.
Nachdem die beiden Frauen eine Weile miteinander geplaudert und Neuigkeiten ausgetauscht haben, will sich die Wirtin wieder erheben, denn ein Schwung neuer Gäste hat soeben den Schankraum betreten, als Mäu sie kurz am Arm zurückhält:
„Dank dir, Feli! Ich mach mich morgen in aller Früh auf den Weg. Da werden wir uns wahrscheinlich nicht mehr sehen…“
„Ich komm nachher noch mal zu dir“, entgegnet Felicitas und eilt zu ihren neuen Gästen. Es handelt sich um eine Gruppe von Zigeunern, die Felicitas freudig begrüßt. Sie scheint mit der Sippe gut bekannt zu sein, setzt sich mit ihnen zu Tisch und palavert in einer fremdländischen Sprache. Berthold kommt hinzu und kredenzt den Ankömmlingen Rotwein aus einer Korbflasche. Die dunkelhäutigen, fremdländisch aussehenden Menschen ziehen die Blicke der anderen Schankgäste auf sich. Die Frauen tragen wallende, farbige Gewänder und wirken wie Zauberinnen. Den meisten Stammgästen ist bekannt, dass Felicitas eine halbe Zigeunerin ist. Sie entstammt der zigeunerisch-vagantischen Mischbevölkerung, den so genannten „Jenischen“ und wird von Zigeunern als eine der ihren angesehen, deren Sprache sie ja auch beherrscht.
Während Mäu noch ganz fasziniert die Fremdlinge beäugt – es heißt von ihnen, dass sie Pilger aus dem fernen Ägypten sind und dass ihre Frauen über geheimnisvolle Zauberkräfte verfügen –, betreten zwei Männer den Schankraum. Es scheint draußen inzwischen gewaltig zu regnen, denn die Eintretenden sind total durchnässt und wirken erschöpft. Sie entledigen sich ihrer schweren Tornister und hängen ihre nassen Umhänge in die Nähe der Feuerstelle, wärmen sich kurz am Kamin auf und nähern sich dann dem Wirt, der sie per Handschlag begrüßt und sie auffordert, sich doch niederzulassen. Berthold bringt den beiden einen Humpen Bier und fragt sie, was es Neues in der Welt gibt, denn es handelt sich bei den Neuankömmlingen um fahrende Flugblatthändler. Nachdem sich die Männer mit einer dampfenden Schale Eintopf gestärkt haben, holen sie einen Stapel bedruckte Papierblätter hervor und beginnen auf Bertholds Wunsch hin, daraus zu deklamieren. Sie berichten, indem sie sich seitenweise abwechseln, dass es in Nieder-Mörlen, einem kleinen Dorf in der Wetterau, ein Antoniusfeuer * gegeben habe. Etliche Dörfler wären daran erkrankt und hätten vom verseuchten Korn brandige Gliedmaßen bekommen. Obwohl die gesamte Gemeinde eindringlich zum heiligen Antonius um Heilung gebetet hätte, wären doch einige zu Krüppeln geworden, dadurch dass ihnen die Gliedmaßen abgefallen wären.
Sie verkünden weiter, dass der Abt vom Prämonstratenser-Kloster in Ilbenstadt mit blauem Eisenhut vergiftet worden wäre. Der Eisenhut wäre eine der giftigsten Pflanzen überhaupt, schon die Berührung könne tödlich wirken. Der Vergiftete würde bereits nach einer halben Stunde sterben und es gebe kein Gegengift. Der Tod wäre äußerst qualvoll, denn der Kranke würde die schlimmsten Schmerzen erleiden und dies bei vollem Bewusstsein. Demnach müsse der Täter sein Opfer abgrundtief gehasst haben, dass er ihm eine solche Qual zugefügt hätte. Wer es gewesen wäre, das müsse noch geklärt
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