Die Siechenmagd
sommersprossiges Gesicht mit den semmelblonden Wimpern und Brauen wirkt eher unscheinbar. Dünne, gelbliche Zöpfchen ragen rechts und links unter der dicken Wollmütze hervor. Ihr rosafarbener Teint erinnert Mäu an ein Ferkel und trotz ihrer Anspannung kann sie sich ein Grinsen nicht ganz verkneifen, ist dabei aber bemüht, es sich nicht anmerken zu lassen.
„Bist du guter Hoffnung?“, fragt Mäu etwas verlegen, als sie den gewölbten Leib von Theres unter dem dicken Mantel wahrnimmt.
„Ist ja wohl schwer zu übersehen!“, entgegnet diese schnippisch.
Scheint ja ‘ne ganz schöne Zimtzicke zu sein, so was kann ich grad noch gebrauchen! , denkt Mäu gereizt und entspannt sich etwas, als Franz ihr die beiden Kinder vorstellt, die wie kleine Erwachsene große Tornister auf ihren schmächtigen Schultern tragen. Die vierjährige Else und der sechsjährige Paul schauen Mäu mit großen, hungrigen Augen neugierig an.
„Hast du ein Krüstchen für mich in deinem Sack?“, fragt Paul unverblümt.
„Ich glaube schon, kleiner Mann, und wenn wir nachher Brotzeit halten, teilen wir es auf“, entgegnet Mäu freundlich.
„Ich will’s aber gleich haben, ich hab Hunger!“, quengelt der Junge.
„Ich auch, ich will auch haben! Du kriegst sowieso immer mehr als ich!“, jammert nun auch die Kleine.
„Schluss mit dem Gejauner! Jetzt geht’s erst mal an der Nidda entlang bis nach Vilbel. Dort machen wir eine kleine Pause und es gibt auch was zu beißen. Aber nur, wenn ihr gut marschiert und unterwegs nicht wieder als rumplärrt. Auf jetzt, ihr wisst ja, den letzten beißen die Hunde!“, ermahnt der junge Vater, ergreift den größten der drei Rucksäcke, die noch auf dem verschneiten Hof stehen und schnallt ihn sich auf den Rücken. Dann lädt er seiner Frau und Mäu die beiden anderen Tornister auf. Mäu muss unwillkürlich ächzen, als ihr die schwere Last die Schultern herunterdrückt.
„Normalerweise haben die Theres und ich unsere 100 Pfund auf dem Rücken. Jetzt, wo sie in anderen Umständen ist, kann sie nicht mehr so schwer schleppen und deswegen tragen der Kleine und ich etwas mehr. Dadurch, dass du uns jetzt was abnimmst, ist es für uns zwei ein bisschen leichter und das ist doch prima, gell, Paulchen!“, ermuntert Franz den Jungen und schreitet mit ausholenden Schritten voran.
Der Uferpfad, der an der still strömenden Nidda entlangführt, ist teilweise noch vereist und die Reisenden müssen sorgsam ihre Schritte wählen, um nicht auszurutschen. Schwer beladen, wie sie sind, ist das recht mühsam und Mäu kommt bald vor Anstrengung ins Schwitzen.
Franz, der bemerkt, wie sie sich abmüht, lacht:
„Ja, am Anfang tut’s noch ganz schön drücken, das Gewicht. Aber man gewöhnt sich schnell dran. Nach ein paar Tagen merkst du’s schon gar nicht mehr. Aber das Laufen bei so einem Wetter macht wirklich keinen Spaß, man kommt viel langsamer voran als im Sommer. Draußen kampieren geht auch nicht und das ist besonders ärgerlich, denn selbst die billigste Unterkunft kostet noch was. Deswegen bleiben auch die meisten Landgänger im Winter mit dem Arsch daheim. Nur, wir haben ja eigentlich schon Frühling und irgendwann muss es ja mal wieder losgehen. Also haben wir uns auf nach Frankfurt gemacht, um neue Ware zu holen, die wir jetzt unterwegs verscherbeln wollen“, erläutert Franz. „Trotzdem bin ich heilfroh, wenn wir wieder daheim in Herbstein sind. So ein Sauwetter, und dabei ist morgen Ostern!“
„Es sind auch nur wenig Leute unterwegs“, stellt Mäu fest, bemüht, ihre Erleichterung darüber nicht zu offenkundig werden zu lassen.
„Wir haben heut Karfreitag, da zieht sowieso nur der über die Lande, der es muss. Aber letztes Jahr haben wir so schlecht verkauft, dass wir jetzt nicht länger warten können, hoffentlich läuft’s diese Saison besser. Vielleicht bringst du uns ja Glück. Gebrauchen könnten wir’s“, fügt der Hausierer flirtend hinzu, was ihm einen unduldsamen Blick von Theres einbringt, die sich schweigsam an seiner Seite hält. Doch Franz, die Argusaugen seiner jungen Frau gelassen ignorierend, plaudert einfach weiter drauflos:
„Früher, als kleiner Bub, hab ich immer gedacht, alle Fahrenden sitzen bequem auf ihren Gäulen und Wägen, ziehen über die Lande und gucken frohgemut in die Luft. Heute weiß ich’s besser! Die armen Schlucker unter uns, und das sind die meisten, reisen zu Fuß und tragen dabei ihren halben Hausstand und ihre Waren auf dem Buckel. Pferde
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