Die Siechenmagd
Ein paar von den Flehenden haben mal erzählt, dass die Grünschnäbel vom Bettelvogt einkassiert und später aus der Stadt getrieben worden sind. Seither hat man wohl von dem Rotschopf und seiner Bande nichts mehr gesehen und gehört. Wo die jetzt rumziehen, weiß niemand. In Frankfurt ham die sich jedenfalls nicht mehr blicken lassen, und das kann man ja auch verstehen, so wie die hier gestriezt worden sind“, antwortet Berthold.
„Weißt du was, ich hol mal den Boskenner her, dem fällt doch immer das Richtige ein, wenn einer in der Klemme sitzt“, wendet sich Felicitas an ihren Mann. Berthold nickt zustimmend, Mäu aber scheint von ihrem Vorschlag, einen Außenstehenden hinzuzuziehen, nicht gerade begeistert zu sein.
„Der Boskenner ist ein sehr guter Freund von uns, der momentan hier logiert. Er ist ein ganz schlauer Bursche. Sieht aus wie ein feiner Pinkel, hat aber das Herz am rechten Fleck. Glaub mir, dem kannst du vertrauen“, versichert die Wirtin. Nach einigem Zögern willigt Mäu schließlich doch ein, und Felicitas begibt sich zu den Herbergsräumen, um den Freund herbeizuholen. Bald darauf kehrt sie mit einem älteren Herrn im Schlepptau zurück, den sie Mäu mit leichter Ironie als Benno Graf zu Dahlen vorstellt. Gekleidet in edles Tuch, die silbergrauen, schulterlangen Haare gekrönt von einem Barett aus weinrotem Samt, wirkt der Vorgestellte tatsächlich wie ein echter Aristokrat und Mäu wird es bei seinem Anblick einigermaßen beklommen zu Mute.
„Du brauchst dich nicht zu genieren, Mäu. Mit dem Benno kannst du schwätzen, wie dir der Schnabel gewachsen ist. Der ist ein echter ,Boskenner’, so nennt man bei uns die Meister unter den Malochern * und hat das Loch noch nie von innen gesehen“, erläutert die Wirtin verschmitzt und klopft sogleich dreimal auf das Holz der Tischplatte.
„Dem heilchen Nikolaus sei Dank!“ * * , fügt Benno rasch hinzu und verbeugt sich höflich vor Mäu.
„Nennt mich einfach ,Boskenner Benno’, mein Fräulein“, begrüßt er sie mit unverkennbar sächsischem Dialekt. Wenn die Situation es erfordert, spricht er außerdem noch fließend Englisch, Französisch und Latein. Und da er gewohnt ist, häufig in den besten Herbergen abzusteigen, ist es ihm dadurch jederzeit möglich, mit anderen hochgestellten Gästen Standesgemäß zu parlieren. Er pflegt sich den erlauchten Reisebekanntschaften, bei denen es sich zumeist eher um reiche Pfeffersäcke als um wirkliche Aristokraten handelt, als Benno Graf zu Dahlen vorzustellen und erwähnt in diesem Zusammenhang gerne, dass sich das Stammschloss derer zu Dahlen in der Dahlener Heide unweit der prächtigen Stadt Leipzig befindet. Dass Benno dort schon seit langem nicht mehr verkehrt, bindet er den Leuten natürlich nicht auf die Nase. Warum auch? – In jungen Jahren in Raubritterkreise geraten und dabei immer mehr vom rechten Weg eines christlichen Edelmannes abtriftend, wurde Benno Graf zu Dahlen vom königlichen Hofgericht zunächst mit der Acht versehen und ob seiner konsequenten Unverbesserlichkeit schließlich mit der Friedlosigkeit belegt. Seine vornehme Familie hatte sich daraufhin vollends von ihm abgewendet und das schwarze Schaf endgültig fallen lassen. So blieb dem geächteten Adelsspross damals nichts anderes übrig, als das zu tun, was er schon so früh gelernt hatte, und das war nun mal das Stehlen. – Wobei ihm seine Vertrautheit mit dem landesweiten Geldadel und seinen Lebensgewohnheiten durchaus zustatten kam. Vom Wesen her ein Perfektionist, hatte er im Laufe vieler Jahre aus seinem Gewerbe eine hohe Kunst entwickelt und war so zu einem der geschicktesten Einbrecher im ganzen Lande geworden.
Mäu, vom sympathischen Wesen des vornehmen Sachsen angetan, taut zunehmend auf und berichtet dem Boskenner ausführlich von ihrer misslichen Lage. Nachdem sie geendet hat, denkt Benno konzentriert nach, bevor er anschließend mit ernster Miene das Wort an sie richtet:
„Ich will Euch jetzt nicht ängstigen, mein Fräulein, aber Ihr seid fürwahr in großer Gefahr! Die Frankfurter Bürgerschaft wird über Eure Tat bestimmt sehr aufgebracht sein. Schon bald werden die Büttel die ganze Umgebung nach Euch durchkämmen und sämtliche Gendarmen und Torwächter im Hessenland werden angewiesen sein, nach Euch Ausschau zu halten. An den Stadttoren werden sie Flugblätter mit Eurem Konterfei in Umlauf bringen und es wird bestimmt auch ein Kopfgeld auf Euch ausgesetzt werden. Das Problem ist, nach dem Gesetz
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