Die Siedler von Catan.
die Flucht nach vorn, wenn sie sich in die Enge getrieben fand. In den vier Jahren, da sie Cnuts Frau gewesen war, hatte ihr diese Neigung manchen Bluterguss und auch den einen oder anderen gebrochenen Knochen eingetragen. Die Erinnerung machte einen Teil ihrer Angst aus. Doch sie fürchtete sich auch vor der Macht dieser boshaften alten Frau, fürchtete sich, weil sie hier ganz allein und machtlos unter diesen Fremden war, und am meisten ängstigte sie die Vorstellung, die Bibel zu verlieren. Aber niemand hätte ahnen können, was in ihr vorging.
Nicht einmal Brigitta, die doch sonst jede Maske durchschaute, kam ihr auf die Schliche. Sie beugte sich leicht vor.
»Du willst uns also weismachen, diese Runen hätten keinerlei Macht über dich, aber du weigerst dich, sie zu verbrennen?«
Siglind betete zu Jesus Christus, wie Austin es ihr geraten hatte. Sie war nicht wirklich verwundert, dass es funktionierte. Nur die Schnelligkeit, mit welcher der Himmel ihr eine Eingebung schickte, verblüffte sie. »Es sind nicht die Runen des Zimmermannsgottes, die ich erhalten will. Aber der Sachse hat begonnen, eine Chronik über unsere Reise und unsere Besiedlung von Catan in dieses Buch zu schreiben.«
»Eine was?«, fragte Candamir verständnislos.
»Einen … Bericht. Damit nichts in Vergessenheit gerät. Wie Odin uns hergeführt hat etwa. Oder all die großen Taten, die ihr alle hier noch vollbringen werdet. Ist es nicht eine gute Sache, diese Ereignisse für unsere Nachkommen aufzuschreiben?«
Brigitta winkte ungeduldig ab. »Wir werden unsere Lieder dichten, um der Taten zu gedenken.«
»Aber Lieder sind vergänglich«, wandte Siglind ein. »Erst werden sie verfälscht, dann verstümmelt, und schließlich bleibt kaum mehr etwas von der Wahrheit übrig. Nimm nur das Lied von Catan. Wer außer dir kannte es noch? Und wie mag es ursprünglich gelautet haben? Hätte man es aufgeschrieben, wäre niemals so viel über die Geschichte der Insel vergessen worden.«
»Na ja, da hat sie Recht«, murmelte Candamir. »Es spricht einiges für eine solche … wie heißt das?«
»Chronik«, wiederholte Siglind.
Candamir nickte in Brigittas Richtung. »Für eine solche Chronik.« Das fand er wirklich. Nicht, dass ihm so besonders viel daran lag. Aber er hatte so eine Ahnung, dass Siglind dieses Buch teuer war. Und sein Sachse, wusste er, würde sich vermutlich in den Schlund des feurigen Berges stürzen, wenn er es verlöre. Candamir hatte nichts gegen Brigittas Forderung nach mehr Frömmigkeit und Götterdienst einzuwenden; er wusste, dass zumindest er das nie genau genug genommen hatte. Aber er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass Odin etwas gegen ein paar Tierhäute mit Runen darauf haben sollte.
»Wir müssen ja nicht heute darüber entscheiden«, sagte Osmund beschwichtigend. »Ich denke wie Candamir, dass solch ein Bericht für spätere Generationen von Wert sein kann und zuverlässiger ist als Lieder, die allein dem Gedächtnis anvertraut sind. Aber wir können etwas anderes tun.« Er schaute Brigitta jetzt direkt an. »Wir bauen unseren Göttern eine Halle in unserem neuen Dorf. Einen Ort, wo wir ihnen an Festtagen opfern und alles andere tun können, was du für richtig hältst.«
Einen Augenblick saßen alle wie vom Donner gerührt. Es war ein ungewöhnlicher, geradezu unerhörter Vorschlag. Olaf hätte ihnen sagen können, dass auch andere vor ihnen schon auf diese Idee gekommen waren, dass es in einer Stadt im Süden der alten Heimat und in Irland solche Kultstätten gab, doch waren sie höchst selten.
Brigittas Augen glommen in der Dunkelheit auf. Zweifellos sieht sie sich selbst schon als Priesterin eines solchen Tempels, mutmaßte Siglind gehässig.
Die alte Frau nickte Osmund zu. »So soll es geschehen«, erklärte sie.
Angeregt debattierten sie darüber, wie eine solche Halle beschaffen sein sollte, ob es ein Haus sein müsse, ähnlich denen, in welchen die Menschen wohnten, oder ein heiliger Hain. Ob eine heilige Quelle zwingend erforderlich sei oder nicht. Die Bibel des Sachsen und die gefährlichen Runen darin waren zumindest für den Moment vergessen. Osmund fing Siglinds Blick auf und zwinkerte ihr zu. Sie senkte den Kopf und lächelte.
Candamir stand auf, trat unbemerkt aus dem Lichtkreis des Feuers und blickte nach Südwesten, wo weit entfernt der feurige Berg lag.
Sie erreichten ihr Ziel ohne größere Missgeschicke am späten Nachmittag des dritten Tages. Von gelegentlichen sachten Schauern
Weitere Kostenlose Bücher