Die Siedler von Catan.
gewandt. »Was, wenn irgendwer da oben deine Hand sieht?«
Candamir reckte seinen Arm noch ein wenig höher und spürte plötzlich warmen Sonnenschein auf dem Handrücken.
»Oh, Hacon«, flüsterte er. »Die Decke ist nicht dicker
als ein Spann.«
»Ein Wunder, dass noch keiner eingebrochen und in der Esse gelandet ist«, murmelte Hacon und legte seinem Bruder einen Hammer in die ausgestreckte Linke. Zaghaft klopfte Candamir von unten gegen die Decke, denn er fürchtete, das Geräusch von Hammer auf Stein könne Argwohn erwecken. Aber auch ohne große Kraftanstrengungen und viel Getöse brachen mit jedem Hammerschlag kleine Bröckchen des porösen Gesteins und fielen um Hacons Füße herum zu Boden.
»Wenn ich wollte, könnte ich jetzt gleich einen Ausstieg für uns machen«, flüsterte Candamir, heiser vor Aufregung.
»Nein. Komm runter. Ich muss ausruhen, und wir sollten genau überlegen, was wir tun wollen«, entgegnete Hacon.
Er setzte Candamir ab, holte eine rot glühende Messerklinge aus der Esse, trug sie zum Amboss und begann, sie mit dem Hammer zu bearbeiten. Und zwischen jedem Schlag tauschten sie ein paar geflüsterte Worte.
»Wir dürfen nichts überstürzen«, betete Hacon seinem Bruder vor. »Du brauchst Schuhe.« Candamir trug nichts als seine inzwischen ausgefransten und löchrigen Hosen, alles andere hatten sie ihm weggenommen. »Und du kannst das Leere Land nicht in Ketten durchqueren.«
Candamir nickte unwillig. Seine Euphorie über den möglichen Ausweg, der sich plötzlich aufgetan hatte, wollte ihn verleiten, auf der Stelle eine Flucht zu versuchen, aber glücklicherweise hatte er ja seinen besonnenen Bruder bei sich.
»Kannst du die Schellen öffnen?«, fragte Candamir.
»Sicher. Aber das macht Lärm. Da wir bei Einbruch der Nacht loswollen, müssen wir uns etwas anderes einfallen lassen.« Konzentriert betrachtete er die Fesseln. Die
Fußkette ließ nur Spiel für kurze Schritte, und Lars wurde es nie müde, sich über Candamirs Gang lustig zu machen. Aber sie war lang genug, um das mittlere Glied in der Esse zu schmelzen, ohne Candamir die Füße zu rösten. Die Handkette war noch ein Stück länger und erst recht kein Problem. »Ich werde je eins der Glieder öffnen. Nur ein wenig. Es wird niemandem auffallen, aber ehe wir gehen, kannst du es aushängen und Hände und Füße frei bewegen. Den Rest erledigen wir zu Hause.«
»Einverstanden.«
Im Verlauf des Nachmittags vervollständigten sie ihre Pläne. Candamir vergrößerte das Loch in der Decke, bis er eines der zahllosen Lederstücke hindurchstecken konnte, die es in jeder Schmiede gab, um die Hände vor heißen Gegenständen zu schützen. So gut es ging, breitete er das Leder über dem Loch aus und bedeckte es notdürftig mit der losen Asche, die er draußen ertastete. Da er nicht sehen konnte, was er tat, war die Tarnung gewiss unzureichend, aber das Lederstück war dunkelbraun wie dieses Land, also hofften sie einfach das Beste. In den nächsten Tagen wollten sie das Loch zu einem Ausstieg verbreitern und in dieser Weise tarnen. Candamir hoffte, dass sie mit zwei Tagen auskämen. Der dünne, poröse Stein ließ sich leicht abschlagen, aber Hacon musste mit der Arbeit an Lars’ Schwert weitermachen, um keinen Verdacht zu erregen, und natürlich konnten sie sich nur an der Decke zu schaffen machen, wenn niemand in der Nähe war. Egal, wie sie vorankämen, am übernächsten Tag wollte Hacon Candamirs Ketten aufschmieden. Ein paar Schuhe wollten sie erst unmittelbar vor dem Aufbruch stehlen, denn jeder, der sich nachts in der Halle zur Ruhe bettete, stellte sein Schuhwerk neben seinem Lager ab; es sollte also ein Leichtes sein. Zusätzlich wollten sie sich ein Beispiel an Lars’ Pferden nehmen und sich eine doppelte Lage Leder um die Schuhe binden, damit sie mit heilen Füßen durchs Leere Land kamen.
Am Abend des übernächsten Tages war die Stimmung in der Halle besonders ausgelassen. Hacon kamen die Worte »ungezügelt« und »schamlos« in den Sinn. Die Männer tranken mehr als üblich, lachten zu laut und machten sich kaum die Mühe, ihre Gefährtinnen in die Dunkelheit jenseits der Öllichter zu führen, ehe sie sie zu Boden zogen und ihre Röcke hochschoben.
Hacon saß wie üblich neben seinem Bruder an ihrem Schlafplatz nahe der Wand, und er fürchtete sich mehr als sonst. Bitte, Gott, flehte er inbrünstig. Mach, dass sie ihn zufrieden lassen. Gib uns wenigstens eine Chance, das ist alles, worum ich dich ersuche
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