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Die Signatur des Mörders - Roman

Titel: Die Signatur des Mörders - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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elementar. Feuer. Wasser. Erde. Luft. Sie riss ihn innerlich entzwei.
    Wann hatte er zuletzt gegessen? Wann etwas getrunken? Er wusste nicht, ob er auf Entzug war, ob der Geier dabei war, ihn aufzufressen, oder ob er den letzten ultimativen Flash erlebte, der alles übertraf. Seine Empfindungen waren im gleichen Maß erschreckend wie intensiv. So intensiv, wie er das Leben noch nie gefühlt hatte. Dieses Leben war bereits die Hölle. Das Hier und Jetzt hielt eine Abfolge von Folterqualen bereit, die das Fegefeuer im Jenseits überflüssig machten.
    Die Angst vor dem eigenen Entsetzen ließ ihn schwanken. Um sich zu schützen, stellte er sich vor, in einem gläsernen Tunnel zu laufen, in dem er unberührbar blieb. Jeder Blick zur Seite machte ihn wankend. Er musste sich zwingen, zu Boden zu sehen, den Weg unter seinen Füßen zu fixieren. Er streckte beide Arme weit aus, um sich an den gläsernen Wänden seitlich festzuhalten. Anders wäre er gefallen.
    Ab und zu sprach ihn jemand an. Er schaute in verständnislose Gesichter, wenn er erklärte, alles sei gelogen. Es gäbe kein Licht am Ende des Tunnels. Es gäbe nur die Dunkelheit. Und wenn er lachte, wandte sich sein Gegenüber ab. So klar war er noch, die Verachtung in ihren Gesichtern zu erkennen.
    Ihm schien die Richtung falsch, die er eingeschlagen hatte. Er musste umkehren, doch war der Weg zu schmal. Er hielt kurz an, versuchte sich umzudrehen, doch es war nicht möglich. Er schaffte es nicht. Und erneut setzten sich seine Beine in Bewegung und gingen weiter auf dieses Loch zu, das dennoch nie näher kam.
    Es spielte keine Rolle, ob er weiterging oder stehen blieb. Drei Schritte vor. Drei zurück. Die Entfernung blieb immer dieselbe. Das Loch war eine schwarze Scheibe in der Helligkeit des Tages.
     
    Nun ging er nur noch rückwärts. Sein Herz schlug laut.
    Er könnte sein Leben zurückgehen. Bis zu dem Punkt, an dem er die falsche Entscheidung getroffen hatte. Ein einziger Versuch auszubrechen, und sie hatten ihn aus der Welt geworfen.
    Die Zuschauer außerhalb des gläsernen Tunnels starrten ihn an. In einer Mischung aus Neugierde und Abscheu.
    »Was glotzt ihr so?«, rief er. »Ich gebe wenigstens meine Schuld zu - im Gegensatz zu euch.«
    Sie gingen einfach weiter.Vielleicht konnten sie ihn nicht hören. Natürlich nicht. Das Glas war schalldicht.
    Er kam zurück zu dem Tag, als Helena Baarova starb. Sie hatte ihm das Geld in die Hand gedrückt und gelächelt, wie nur sie lächeln konnte.
    Das Lächeln der Medusa. Der Gesang der Lorelei. Die Schicksalsgöttinnen auf Odysseus’ Weg.
    Odysseus stopfte sich Wachs in die Ohren und ließ sich an den Mast schmieden. Ähnliches zu tun kam Alex in den Sinn, als er an einer Straßenlaterne vorbeikam. Aber wie einer Handvoll Wachs vertrauen und den Ketten? Der Gesang von Helenas Stimme durchdrang alles, sogar das Wachs in seinen Ohren.
    Dieses Leben war unerträglich, ein anderes unerreichbar.
    Die Dämonen waren stets im Vorteil. Vor den Dämonen konnte man keine Geheimnisse haben. Sie fanden einen. Immer. Überall.
    Wo sich verstecken?
    Dann Lärm um ihn herum. Türenschlagen.
    Er spürte den warmen, kräftigen Körper eines Menschen, der ihn festhielt, und wich zurück. Doch es gab kein Entkommen. Wie auch, wenn er doch noch immer in diesem Tunnel war.
    »Alex«, hörte er jemanden rufen. »Alex.«
    Er vernahm seinen Namen wie durch Glas.
    Eine schwere Hand auf seiner Schulter, unter der er nachgab.
    Er war die Fliege, die mit dem kleinen Finger zerdrückt werden kann. Er war die Kellerassel unter einem schweren Stein. Er war die Maus, die ein Stiefel zertritt.
    Er ließ sich auf den kalten Boden fallen und krümmte sich endgültig zusammen. Der Gefangene in der dunklen Kammer unter der Erde, das war er.
    Als jemand sagte: »Sie kennen mich. Mein Name ist Henri Liebler. Ich werde Sie ins Krankenhaus bringen«, hörte er es bereits nicht mehr.

39
    Absurd und aberwitzig. Milan Hus’ Haus befand sich nur wenige Straßen vom Polizeipräsidium entfernt. Es lag sozusagen vor ihrer Haustür. Aber das erschien Myriam typisch für diesen Fall. Hatte irgendetwas auf diese Entwicklung der Ereignisse hingewiesen? Hätten sie die Wahrheit schon früher erkennen müssen?
    Auf der Fahrt versuchte Myriam erneut, Henri zu erreichen. Seine tiefe Stimme: Henri Liebler. Sagen Sie nur etwas, wenn Sie etwas zu sagen haben. Doch sie konnte nur die zwanzigste Nachricht auf der Mailbox hinterlassen. Wieder und wieder ratterte ihr

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