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Die Signatur des Mörders - Roman

Titel: Die Signatur des Mörders - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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sie eine bisher ungetragene Trainingshose von Adidas aus dem Schrank zog. Es war eine Schnapsidee von Berit gewesen, ins Fitnesszentrum gehen zu wollen. Es war nie dazu gekommen, weil keiner von ihnen die Energie aufbrachte.
    Barfuß ging sie in die Küche und öffnete die Tür zum Kühlschrank. Ihr Vorsatz, darauf zu achten, was und wie sie aß, brachte sie dazu, ihr Abendessen sorgfältig zuzubereiten. Nach dem Essen nahm sie eine Flasche Wein und ging ins Wohnzimmer.
    Draußen war es bereits dunkel.
    Es nieselte leicht, und der Wind fegte etwas durch die Luft, das leise schepperte.
    Myriam schaltete den Fernseher ein und griff nach der Tüte mit den Büchern. Zehn Bände Kafka. Eine Biographie. Womit anfangen?
    Sie goss sich ein Glas Rotwein ein, nahm den ersten Schluck, zog eines der Bücher aus dem Schuber und schlug es auf. Vom heißen Wasser war sie müde, der Wein stieg ihr zu Kopf.
     
    Sie konnte nicht lange geschlafen haben. Dennoch wusste sie nicht, wo sie war, als sie erwachte.
    Im ersten Moment glaubte sie, das Telefonläuten käme aus dem Fernseher. Nein, das konnte nicht der Fall sein, da sie Audrey Hepburn identifizierte, die mit einem bekannten, in Uniform gekleideten Schauspieler, wie war nur sein Name, spazieren ging.
    Ausgeschlossen. In diesem Film kam garantiert kein Telefon vor.
    Sie würde nicht abnehmen. Nein, sie würde nicht rangehen.
    Ihr Herz schlug laut. Ein dumpfes Pochen. Myriam sprang auf, rannte in den Flur und zog mit einem Ruck den Stecker aus der Dose.
    »He«, schrie sie anschließend laut in die Stille. Sie spürte die Erleichterung geradezu körperlich, nahm den Hörer ab und rief, obwohl die Leitung tot war: »Ich hoffe, du kapierst es. Ich lass mich nicht mehr länger tyrannisieren.«
    Sie lachte laut auf. Einfach den Stecker herausziehen. »Na also«, sagte sie, »ist doch ganz einfach.«
    Eine ungeheure Last fiel von ihren Schultern. Sie kehrte ins Wohnzimmer zurück, legte sich aufs Sofa und hörte Audrey Hepburn zu. Krieg und Frieden, fiel ihr ein. Und der Schauspieler war Henry Fonda.
    Jetzt, wo sie sich ausgeschlafen und zudem befreit fühlte, war sie bereit, sich erneut mit Kafka zu beschäftigen. Wahllos nahm sie eines der Bücher vom Boden. Zur Frage der Gesetze lautete der Titel.
    Sie überflog die Seiten, als das Handy zu klingeln begann. Es konnte sich nur um jemanden von der Arbeit oder aus ihrer Familie handeln. Niemand sonst besaß diese Nummer.
    Sie beugte sich nach unten, um das Mobiltelefon aus ihrer Handtasche zu fischen. Zu spät bemerkte sie, dass keine Nummer auf dem Display angezeigt wurde.
    Laute Musik schlug ihr aus dem Handy entgegen. Irritiert hörte sie eine Weile zu, in der Meinung, es handele sich um eine Warteschleife. Die klassische Musik kam ihr vage bekannt vor. Dann brach die Melodie plötzlich ab, und jemand sagte: »Erkennst du es wieder?«
    Dann ein Lachen, und bevor Myriam noch etwas erwidern konnte, war das Gespräch beendet.
    Erkennst du es wieder? Die Erkenntnis kam unmittelbar mit dieser Frage. Le Sacre du Printemps. Helena Baarovas Musik. Sie hatte sie völlig vergessen. Sie schien keine Rolle mehr zu spielen. Das Mädchen, das sich im Kreis der Männer zu Tode tanzt. Das war kein Zufall.War dieser Anruf eine Warnung für sie?
    Le Sacre du Printemps.
    Was blieb, war die überwältigende dunkle Beklemmung, die alle Gedanken verschluckte.
    Wer hatte angerufen? Nur diese Frage im Kopf, flüchtete Myriam aus ihrer Wohnung, lediglich mit Jogginghose und T-Shirt bekleidet. Im letzten Moment griff sie noch nach der Handtasche.
    Inzwischen war es bereits fast halb elf. Der Abend hatte weiter abgekühlt. Die Arme um sich geschlungen, rannte Myriam die Straße entlang, wusste nicht mehr, wo sie den Chrysler abgestellt hatte, bis ihr wieder einfiel, dass sie mit der U-Bahn gekommen war.
    Sie konnte nicht zurückkehren. Der Anrufer hatte den Finger genau in die Wunde gelegt. Er wusste, wann sie zuhause war, kannte ihre Ängste, konnte ihre Gedanken lesen. Da draußen war jemand in der Lage, sich in sie hineinzuversetzen.
    Für einen Moment kam ihr der Gedanke, er könnte der Richter sein, der sie verurteilt hatte: zu lebenslanger Furcht. Sie hielt einen Moment inne, doch die Kälte ließ sie weitergehen.
    Sie wusste nicht, wann sie zuletzt nachts alleine an einer U-Bahn-Haltestelle gestanden hatte. Sie fasste in ihre Handtasche und prüfte, ob ihr Handy greifbar, der Akku geladen war.
    Die Tafel kündigte die nächste Bahn für in drei Minuten

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