Die Signatur des Mörders - Roman
an. Myriam ging auf dem Bahnsteig hin und her und atmete die rußige Luft ein, während sie auf das Rauschen hörte, mit dem sich der Zug näherte. Hinter ihr hörte sie Gelächter, und als sie sich umdrehte, sah sie eine Gruppe Jugendlicher die Treppe herunterspringen. Sie musste sich nach David erkundigen. Wie es ihm ging. Er sei nach dem Selbstmord seines Vaters zu einem Freund gezogen, hatte jemand erzählt. Das ist gut, dachte sie.
Jetzt füllte sich der Bahnsteig. Die Lichter der U-Bahn zeichneten sich bereits von Weitem an den Wänden des Tunnels ab.
Sie spürte den Luftzug im Rücken, sobald die Bahn kreischend aus dem Tunnel schoss und wenige Sekunden später schrill aufheulend zum Stehen kam.
Myriam drängte Richtung Tür, als ihr Blick im Lichtschein der beleuchteten Wagen auf eine schwankende Gestalt fiel, die aus dem Tunnel kam und sich an die Wand presste.
Sie hielt den Atem an. Mit einem unsicheren Sprung rettete sich die Gestalt auf den Bahnsteig. Das rechte Bein war bereits auf sicherem Boden, als das linke abrutschte. Myriam fürchtete, die Person könne auf die Gleise fallen, und überlegte bereits, was sie unternehmen konnte. Ein Fahrgast hinter ihr schob sie ungeduldig nach vorne. Sie betrat den Wagen und schob sich auf einen leeren Platz. Durch die Scheibe beobachtete sie weiter die Gestalt und war erst beruhigt, als diese unbeschadet auf den Bahnsteig gelangte.
Ein schriller Signalton war zu hören, bevor sich die Türen schlossen. Die U-Bahn beschleunigte wieder. Myriams Gesicht klebte am Fenster. Dieser schlurfende Gang kam ihr vertraut vor. Je näher sie dem Tunneleingang kamen, desto sicherer wurde sie: Ihre Intuition täuschte sie nicht. Als sie schließlich auf der Höhe des Mannes war, der nun auf die Treppe zulief, erkannte sie ihn deutlich. Alex. Und er wirkte absurd, denn er trug einen schwarzen Hut auf dem Kopf.
Alles wurde Myriam wieder auf einen Schlag bewusst. Irgendwo in der Stadt schwebte jemand in Todesgefahr, und wenn sie sich nicht beeilten, würde der Richter seine Signatur auch in seinen Nacken ritzen. Sein Tod würde eine Erlösung sein, denn er bedeutete eine Befreiung aus dem Reich der Fantasie, in das das grausame Urteil des Richters sein Opfer verdammt hatte.
Vielleicht, dachte sie, hat der Richter uns alle verurteilt, nur hielt er für jeden von uns ein anderes Urteil bereit.
32
Verschlafen, die kurzen blonden Haare zerzaust und in einen überdimensionierten karierten Schlafanzug gehüllt, öffnete Berit die Tür. Bei Myriams Anblick huschte ein erfreutes Lächeln über ihr Gesicht. Myriam war dankbar, nicht nach Entschuldigungen suchen zu müssen, dass sie - es war 23:08 Uhr - um diese Zeit störte.
Stattdessen sagte Berit: »Mann, Myriam, bin ich froh, dass du wieder einmal vorbeischaust. Komm herein.«
»Wo ist Ron?«
»Keine Ahnung. Ich hoffe doch, im Dienst.«
»Ist er mit Henri unterwegs?«
Berit warf ihr einen besorgten Blick zu: »Ich weiß es nicht. Soll ich ihn anrufen?«
»Ja«, sagte Myriam, »das sollst du.«
Berit ging voraus ins Wohnzimmer, einen großen, nur spärlich möblierten Raum, in dem Myriam endlich aufatmen konnte.
»Ist etwas passiert?«, fragte Berit und sagte gleich darauf: »Saublöde Frage angesichts der Dinge, die in dieser Stadt geschehen. Hat er diesem Studenten wirklich den Mund zugenäht?«
Myriam nickte.
»Soll ich dir etwas zu trinken bringen? Wein, Wasser?«
»Tee, mit - wenn du welchen hast - einem Schuss Rum.«
»Sofort.« Berit verschwand in der Küche, von wo Myriam nun das beruhigende Klappern von Geschirr vernahm und das Rauschen des Wasserkochers.
Sie nahm auf dem riesigen roten Sofa Platz, auf dem ein zerknautschter fleckiger Stoffhase lag, den sie ohne zu überlegen in die Hand nahm und fest an sich presste. Nein, sie würde Berit nicht fragen, wie sie mit der Verantwortung klarkam, Kinder in die Welt zu setzen. Es war eine sinnlose Frage. Menschen bekamen Kinder. Das war ein Naturgesetz. Man hatte vielleicht die Option, aber nicht wirklich eine Wahl.
Berit kam mit einem Tablett zur Tür herein, das sie auf den Tisch stellte. »Die beiden sind natürlich im Büro versackt, obwohl ich mich frage, wie man das kann, in einem Büro versacken. Ich habe ihnen gesagt, dass du hier bist. Sie sind gleich da.« Und mit einem Blick auf den Stoffhasen. »Oh, ich sehe, du hast es dir gemütlich gemacht.«
Myriam zerknautschte das Stofftier zwischen den Händen. »Süß.«
»Ja, aber unhygienisch. Nur so als
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