Die Silberdistel (German Edition)
Fettgebackenem gebührend zu begrüßen. Selbst in unserem Hause wurden diesmal die Lebensmittel knapp, und wir mußten unsere Röcke notdürftig mit einem Stück Schnur zusammenbinden, die schlotternd auf unseren knochigen Hüften hingen. Seit Wochen kam Asa abends meist mit leeren Händen heim. Wem hätte sie ein Ei, ein paar Äpfel, ein Stück Speck oder gar ein Huhn als Bezahlung für ihre Dienste abnehmen können? Die Menschen hatten nichts mehr. In mehr als ein Haus wurde sie erst gar nicht gerufen, und wir mußten von Weiland erfahren, wer wo und woran gestorben war. Nach langen Jahren wurden erstmals wieder Neugeborene gehimmelt, denn so manche Mutter war der Ansicht, ein kleiner Engel habe es im Himmel besser als ein hungriges Maul auf Erden. So wurden denn die Kleinsten nur notdürftig gewickelt, kaum warmgehalten, geschweige denn gefüttert. Meistens war es eine Frage von wenigen Tagen, bis den winzigen Menschlein die Kraft zum Leben ausging und das Herz zu schlagen aufhörte. Dem kurz vor dem Ende eiligherbeigerufenen Pfarrer blieb nichts weiter übrig, als ohnmächtig vor Wut und Hilflosigkeit dem Kind die Taufe zu verabreichen. Weiland wußte, daß jedes tadelnde Wort sinnlos gewesen wäre, und so ging er nach einem solchen traurigen Besuch entweder schweren Herzens nach Hause oder kam auf einen Becher Tee bei uns vorbei. Doch von einem fröhlichen Geplänkel wie in vorherigen Wintern konnte dieses Jahr keine Rede sein. Unsere Herzen waren so schwer und dunkel wie die Tage, an denen sich die Sonne hinter dichten Winterwolken versteckte.
Von der Burg droben war nicht viel zu hören in diesen Monaten, und das wenige, was uns von dort erreichte, bedeutete nichts Gutes. Abgaben, Abgaben, Abgaben. Jost und sein Weib erfanden immer neue Mittel und Wege, um den Menschen das wenige, was sie hatten, aus der Tasche zu ziehen. Schon im Herbst hatten die Blutsauger sich an den Lebenssaft der Menschen herangemacht, hatten das Dorf ausgeblutet, bis außer einer schutzlosen Hülle nichts mehr übrig geblieben war: Obwohl zu der Zeit schon abzusehen gewesen war, daß der bevorstehende Winter besonders hart werden würde, hatte der Burgverwalter sich nicht gescheut, den Bauern nach fünf Jahren zum erstenmal wieder das Besthaupt abzuverlangen. Was für eine armselige Prozession hatte sich im vergangenen September auf den Weg zur Burg gemacht! An Stricken und in Körben, am Halfter oder einfach in der Hand brachte jeder Bauer mit versteinerter Miene das beste Stück Vieh, das er im Stall hatte, hoch zur Burg. Und auch die Handwerker wurden vor weiteren Abgaben nicht verschont. Sogar Asa mußte eine Abgabe von einigen Gulden leisten, was ein empfindliches Loch in unseren Beutel mit den Notgroschen riß. Kein adliger Lehnsherr hätte grausamer und gieriger sein können als Jost, der sich von Jahr zu Jahr immer mehr wie der Herzog selbst aufspielte!
Dem Herrgott sei gedankt, daß wenigstens ich in diesem Winter von Hustenanfällen verschont blieb, denn sokonnte ich Asa jederzeit zur Hand gehen, wenn ich gebraucht wurde.
Dies war auch an einem düsteren Januarmorgen der Fall. »Marga, du mußt in den Wald gehen heut’ morgen.« Beim Anblick von Asas müden Augen hätte ich die Heilerin am liebsten wieder unter ihre Decke geschickt. Um ihre Gesundheit war es in den letzten Wochen nicht gut bestellt gewesen. Kein Wunder! Die bis in den späten Abend andauernden Krankenbesuche und das karge Essen forderten ihren Tribut. Asa sah um Jahre gealtert aus, ihre Wangen waren eingefallen und von einer gelblichen, ungesunden Farbe. Ich erschrak bei dem Gedanken, daß auch ich nicht viel besser aussehen konnte.
Sofort stimmte ich zu. Langsam fühlte ich mich selbst ein wenig wie eine Kräuterfrau und war stolz auf mein erlangtes Wissen.
»Ich brauche dringend Eichenrinde.« Verzweifelt blickte sie mich aus dunklen Augen an. »Wenn die nichts nützt gegen den Durchfall, bin ich mit meinem Wissen am Ende. Ein starker Eichensud hat doch bisher noch immer geholfen, oder?«
»Du solltest es zumindest versuchen. Ich werde sofort loslaufen und einen ordentlichen Sack voll mitbringen. Doch sag, von welchen Bäumen soll ich mich bedienen?«
»Das ist eine gute Frage! Viele bleiben nicht mehr übrig, wenn wir sie nicht tödlich verletzen wollen! Die meisten Eichen in der Nähe sind unten herum schon ganz kahlgeschabt, von denen dürfen wir kein Stücklein mehr holen, wollen wir sie nicht ganz ihrer Schutzhülle berauben. Aber im Tabener
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