Die Silberdistel (German Edition)
mir diese Worte auf der Zunge zergehen, strich über meinen flachen Bauch und stand dann mit einem Satz auf. Schluß mit der Träumerei von einem Kind! Ein neuer Tag stand vor der Tür, und die Arbeit tat sich schließlich nicht von allein. Asa war wie immer schon vor Morgengrauen aufgestanden, um irgendwelche Wurzeln auszugraben. Es war meine Aufgabe, dafür zu sorgen, daß bei ihrer Rückkehr einwärmendes Feuer und ein heißer Haferbrei auf sie warteten.
Nicht viel später kam Asa mit roten Wangen herein. Über der Schulter trug sie einen schweren Sack mit allerlei Schätzen für ihre Heilkunst, den sie mitten im Raum fallen ließ.
»Puh, das Wurzelzeug ist schwer, wenn es feucht und frisch aus der Erde kommt! Nun, gut geschlafen?« Vertraulich blinzelte sie mir zu.
»Danke, mir geht es ausgezeichnet, und ich wäre froh, wenn du mich heute früh mit deinen Anspielungen in Ruhe ließest!«
Beschwichtigend hob Asa die Hände. »Schon gut – ich werde schweigsam sein wie ein Grab! Ich hätte ja etwas Interessantes zu berichten gehabt, aber nun …«
Unwillkürlich mußte ich lachen, als ich Asas verschnupfte Miene sah. »Ach, du und dein Schandmaul! Erzähl schon, was es gibt, sonst erstickst du noch an deinen Neuigkeiten!«
Asa ließ sich nicht zweimal bitten. Im Brustton tiefer Entrüstung erzählte sie, daß Sureya am Vorabend die Töchter des Schmieds und andere Mädchen aus dem Dorf für eine Tanzfron auf die Burg beordert hatte.
Ich schüttelte wütend den Kopf. »Dieses Miststück spielt sich mittlerweile selbst wie eine Herzogin auf! Letzte Woche mußten ein paar der Frauen tagelang nichts anderes tun, als ihre Zimmer herauszuwaschen. Und vorletzte Woche waren Marianne und ihre Schwägerin dazu abbestellt, sämtliche Treppen und Böden zu schrubben. Als ob die Weiber nichts anderes zu tun haben!«
»Natürlich«, pflichtete Asa mir bei, »das ist alles reine Schikane! Das ganze Dorf soll keinen Augenblick lang vergessen, daß nun Sureya das Sagen hat auf der Burg. Bald kommen die Leute nicht mehr dazu, ihr eigenes Tagwerk zu verrichten. Es wäre an der Zeit, daß wir aufhören, den Tanzbären für die da oben zu spielen!«
Sie stutzte. »Da fällt mir etwas ein … was hieltest du davon,wenn ich unseren Herrn Burgverwalter diese Woche mit einer völlig neuen Salbe behandelte?«
Ich schüttelte den Kopf. »Asa, Asa, mir schwant Übles! Dieser Blick kann nur bedeuten, daß deine völlig neue Salbe entweder stinkt wie ein Haufen Mist oder brennt wie ein Büschel Brennessel oder …«
Asa beendete meinen angefangenen Satz: »… oder – sie stinkt und brennt gleichzeitig! Hahahaha! Jost wird zwar eine Woche lang nur schwerlich auf seinem Allerwertesten sitzen können, dafür sind die Warzen aber mit Sicherheit verschwunden! Kann ich was dafür, wenn sie binnen kurzer Zeit wiederkommen …?«
In den nächsten Tagen hatte ich alle Hände voll zu tun: Asa benötigte meine Hilfe beim Herstellen neuer Salben, unsere Hütte mußte für den Winter gerichtet werden, Obst und Gemüse mußten gesalzen und getrocknet werden – unsere Wintervorräte waren längst noch nicht komplett!
Den Nachmittag mit Cornelius hatte ich fast völlig vergessen. Lediglich in der kurzen Zeit vor dem Einschlafen, wenn ich warm und müde unter meinen Decken lag, gönnte ich mir die Erinnerung an unser heftiges Zusammenliegen, und je länger es zurücklag, desto geringer war die Reue. Noch immer hatte ich den Geruch von Eicheln und Buchen und nassem Herbstlaub in der Nase, und noch immer erinnerte er mich an diese eine Stunde. Doch die Müdigkeit übermannte mich meistens sehr schnell, und mir fielen die Augen zu. Was geschehen war, war geschehen! Cornelius mußte dies wohl ebenso sehen, denn als ich ihn beim Kirchgang das erste Mal wiedersah, grüßte er mich freundlich, als wäre nichts Besonderes geschehen. Dankbar zwinkerte ich ihm kurz zu und wandte mich dann sogleich ab, so daß weder Lene noch sonst jemand den geringsten Verdacht schöpfen konnte.
Eines Morgens wurden wir beim Aufwachen von einer eigentümlichen Stille begrüßt, die nur eines zu bedeuten hatte: Der erste Schnee war gefallen. Wie alles in diesem Jahrwar auch die weiße Pracht sehr früh gekommen, immerhin war gerade eben erst Martini gewesen. Nun, da Asa nicht mehr frühmorgens hinaus konnte, um irgendwelche Pflanzen zu sammeln, gönnten wir uns eine weitere Stunde unter der warmen Decke. Das Aufstehen fiel mir im Winter immer viel schwerer als im Sommer,
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