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Die Silberdistel (German Edition)

Die Silberdistel (German Edition)

Titel: Die Silberdistel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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zur Erde hinuntergehen? Die Menschen würden mich sofort erkennen und es mit der Angst zu tun bekommen.‹
    ›Da hast du recht, Engel Gabriel‹, erwiderte der liebe Gott. ›Deshalb mußt du dich verkleiden. Geh auf die Erde im Gewand des ärmsten Bauern, so wird dich keiner erkennen.‹ Und genau dies tat Erzengel Gabriel. In die ältesten Lumpen gekleidet, fuhr er zur Erde hinab …«
    In der Kirche war es so leise, daß man eine Stecknadel hätte fallen hören. Selbst die Kleinsten waren mucksmäuschenstill. Dann ging ein Raunen durch die Menge. Auf der linken Seite der Bühne war wie aus dem Nichts ein zerlumpter Mann erschienen. Seine Hosen waren so löchrig, daß man die nackte Haut hindurchsah, sein Hemd war geflickt und hing in Fetzen herab. Dazu war er barfuß. »Wer ist denn dieser Lumpenmann?« tönte es unbefangen aus einem Kindermund. Leises Gelächter war zu hören. »Das ist der Engel Gabriel«, flüsterte eine Mutter dem Kind zu. Nachdem wieder Ruhe eingekehrt war, fuhr ich fort:
    »Oh, ich bin ein armer Bauer, der Hunger und Durst hat. Mein Hof ist abgebrannt und damit mein ganzes Hab und Gut. Nun muß ich auf die Suche gehen nach einer Unterkunft und etwas Nahrung. Ach, da vorne sehe ich stolze Ritter auf ihren Rössern. Die werden mir sicherlich etwas zu essen geben.«
    Kläglich humpelte ›Gabriel‹ über die Bühne, wo auf der anderen Seite zwei Rösser samt Reitern erschienen waren und von den Zuschauern mit lautem Gelächter begrüßt wurden. Zugegeben, die Rösser waren uns nicht sonderlich gut gelungen, waren es doch nur zwei große Getreidesäcke, an deren eines Ende ein Stück Flachs und ans andere ein Besen gebunden waren. Dafür waren die Ritter recht imposant. Aus Eimern und allem möglichem Gerät bestanden ihre schweren Rüstungen, und in der rechten Hand trugen die beiden große Spieße.
    »Ihr edlen Herren! Ich fleh’ euch an, ein armer Bauer hat Hunger und Durst. Ob Ihr wohl etwas für mich übrig habt?«
    Die beiden Ritter lachten grob.
    »Für eine Mistgabel wie dich haben wir immer etwas übrig«, erwiderte der eine von beiden. »Da, einen kräftigen Tritt in deinen faulen Hintern! Den kannst du haben!«
    Lachend trabten die beiden davon. Der Bauer blieb hilflos am Boden sitzend zurück. Nun erschien ein kräftiger, fetter Mann mit feuerroten Wangen und hinter ihm ein ebenso fettes Weib, das eine riesige Haarkrone auf dem Kopfe trug. Mit einem Seitenblick beobachtete ich die Zuschauer, die bei deren Anblick aufgeregt zu tuscheln begannen. »Der Jost und die Hex’ von der Burg!« »Von denen kann der Engel aber keine Hilfe erwarten!« Der ›echte‹ Jost ließ keine Regung erkennen.
    »Guten Tag, verehrter Lehnsherr! Ob Ihr wohl eine kleine Spende für einen hungernden Bauern übrig habt? Mein Hof ist abgebrannt, und ich habe nichts mehr, was ich mein eigen nennen kann!«
    »Waaas? Du hast nichts mehr? Dann bist du für uns unnütz geworden! Denn wenn du nichts hast, können wir dir nichts mehr wegnehmen!« Bedrohlich baute sich der fette Mann vor dem Bauern auf, der sich vor Angst auf dem Boden krümmte. »Geh mir aus dem Weg, du Laus!«
    Mit ausholenden Schritten marschierte der Mann davon, ohne sich weiter um den Bauern zu kümmern. Dafür versetzte ihm sein Weib beim Weggehen noch einen Tritt.
    »Das kannst du haben für deine Dummheit! Hättest halt besser auf deinen Hof aufpassen sollen, dann wäre er auch nicht abgebrannt!«
    »Aber als dies geschah, mußte ich doch gerade eine Fronarbeit leisten. Wie hätte ich da das Feuer löschen können?« schrie der Bauer dem Weibe nach. »So ist es! Genau so ist es!« rief einer der Zuschauer wütend. »Jawohl, wie soll man sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern, wenn man dauernd für die Herrschaften ackern muß!« »Psst, seid leise, da kommt schon wieder einer des Weges!« »Wer mag das bloß sein?«
    Ich mußte schmunzeln. Gebannt starrten die Menschen auf eine prächtige Kutsche, aus der ein ebenso prächtig gekleideter Herr ausstieg, auf dessen Kopf eine kleine Krone prangte. Allein an dieser Kutsche, für die Karl Saams große Karre herhalten mußte, hatten mehrere Männer eine ganze Woche lang Abend für Abend gearbeitet. »Der Herzog, der Herzog!« »Das wird wohl der Herzog sein!« rief es laut aus den hinteren Reihen. »Oder der Karl!« schrie ein anderer, worüber alle in lautes Lachen ausbrachen. Karl Saam war nun einmal selbst in der edelsten Verkleidung nicht zu übersehen!
    »Verehrter Landesvater und

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