Die Silberdistel (German Edition)
mich besonders, daß ich dieses Mal Gesellschaft hatte. Wie schnell die Zeit verging! Mir war, als ob seit damals bereits eine halbe Ewigkeit vergangen war, und ich zwang mich, nicht weiterzudenken. Denn unweigerlich würde mir Jerg in den Sinn kommen, dessen Erinnerung mit jedem Tag mehr verblaßte, wie sehr ich mich auch dagegen zu wehren versuchte.
Zum Osterfest trug ich mein Kind schon sieben Monate unter dem Herzen, und wenn Asa recht hatte, würde ich Mitte Mai niederkommen. Je näher der Tag kam, desto ruhiger und gelassener wurde ich. Mit Asa war alles abgesprochen, und ich wußte, was ich zu tun hatte, wenn es soweit war. Nur manchmal wurde mir für einen kurzen Augenblick angst und bange. Jedoch nicht wegen dem, was mir bevorstand. Nein, was mir Angst machte, war die Tatsache, wie sehr ich mich seit Jergs Flucht verändert hatte! Wie brav und unschuldig war ich damals gewesen! Wie still und duldsam. Und heute? Heute schauten die Dorfbewohner auf mich und achteten meine Worte. Heute wurde ich beim Gedanken an das, was ich vorhatte, nicht einmal mehr rot! Ich mußte jedoch feststellen, daß ich mich in meiner neuen Haut erstaunlich wohl fühlte. Nur: Würde mich Jerg bei seiner Rückkehr noch so lieben wie zuvor? Würden wir wieder friedlich miteinander leben können? Energisch schob ich die Gedanken beiseite. Jetzt hieß es erst einmal, für ein manierliches Osterspiel zu sorgen!
Schon lange vor dem letzten Glockenläuten war die Tabener Kirche bis auf den letzten Platz besetzt. Armer Weiland! Während seiner glühenden Predigt rutschte die ungeduldige Menge auf den Bänken hin und her und konnte es kaum abwarten, bis der Pfarrer die letzten Worte gesprochen hatte.Mehr als einmal räusperte er sich ärgerlich. So schnell würde er uns seine Kirche nicht mehr zur Verfügung stellen, wurde mir mit einem mulmigen Gefühl klar. Die Mitspieler des Osterstückes und ich hatten in einer der vordersten Reihen Platz genommen, so daß wir uns nicht durch alle Bänke quälen mußten, wenn es anzufangen hieß. Von meinem Sitzplatz aus hatte ich eine gute Sicht auf die versammelte Dorfgemeinde und ließ immer wieder einmal unter gesenkten Wimpern meinen Blick schweifen. Plötzlich mußte ich einen Fluch unterdrücken. In einer anderen vorderen Reihe saßen Jost und Sureya, die sich ausnahmsweise einmal an ihre Kinder erinnert zu haben schien und diese mitgebracht hatte. Doch dann verspürte ich wieder die Unbefangenheit, die mir in den letzten Monaten zu eigen geworden war: Unser Osterspiel würde stattfinden, gleichgültig, was Jost davon hielt. Wen kümmerte es, wenn es ihm nicht gefiel?
Und dann war es endlich soweit. Statt seinen Schäflein für deren Ungeduld böse zu sein, half Weiland sogar mit, die Bühne aufzubauen. Wieder einmal schickte ich ein kurzes Dankgebet zu unserem himmlischen Vater hinauf, der uns diesen Pfarrer geschickt hatte.
Wie ein Erzähler auf dem Märzenmarkt ließ ich mich mit gekreuzten Beinen in einer Ecke der Bühne nieder. Von Cornelius hatte ich mir ein Haarbüschel seiner Kuh besorgt und mir dieses als Bart ins Gesicht geklebt. Statt der üblichen Röcke trug ich Hosen und ein weites Hemd, wie ich es bei herumreisenden Erzählern und Gauklern gesehen hatte. Daß ich meinen kleinen Bauchansatz unter dem weiten Stoff gut verbergen konnte, kam mir natürlich sehr gelegen. Ein großer Schlapphut, um den ich ein Stück Tuch gebunden hatte, rundete meine Verkleidung ab. Ich atmete ein letztes Mal tief durch und begann, mit tiefer Stimme zu erzählen:
»Es war einmal ein sonniger Herbstmorgen. Die Bäume standen in ihrem farbenfrohen Gewand, und die Bauern auf den Feldern waren dabei, ihre kärgliche Ernte einzubringen. Die war dieses Jahr so knapp und mager, daß der Herrgott droben im Himmel besorgt auf die Erde hinabblickte und den Erzengel Gabriel zu sich rief. ›Gabriel‹, sagte er zu diesem, ›ich mache mir Sorgen wegen der Bauern und den Menschen in den Dörfern. Deren Ernte ist so kümmerlich, wie sollen sie den Winter überstehen? Um ihnen jetzt noch mehr Getreide zu schicken, ist es zu spät!‹
Der Erzengel Gabriel antwortete:›Aber die Bauern haben doch noch ihre Lehnsherren! Die werden ihre Leute schon nicht verhungern lassen!‹
Dennoch blickte der Schöpfer besorgt drein und erwiderte: ›Gabriel, geh hinunter zur Erde und schau dich um. Wenn du dich davon überzeugt hast, daß es den Bauern gutgeht, dann berichte mir davon.‹
›Aber, lieber Vater, wie soll ich denn
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