Die Silberdistel (German Edition)
gegeben hatte, holte sie sich selbst einen mit Pfefferminztee, den sie schon früher am Morgen gekocht hatte, und setzte sich für einen Augenblick zu den beiden. Durch die Luken fiel die Morgensonne in goldenen Streifen auf ihr Gesicht.
Für einen kurzen Moment schloß Asa die Augen und genoß die Sonne auf ihrer winterbleichen Haut. Die Leute, die zu Asa kamen, um ein Mittel gegen dieses oder jenes Zipperlein zu bekommen, waren meist viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als daß sie sich die Zeit genommen hätten, Asa genauer zu betrachten. Hätten sie dies getan, wären die meisten wohl überrascht gewesen, wie jugendlich die Heilerin aussah, die in Wirklichkeit tatsächlich noch keine dreiundzwanzig Jahre alt war. Was sie unter einem dunklen Kopftuch, das sie tief in die Stirn gezogen trug, zu verbergenwußte. Für die meisten Menschen im Dorf war Asa jemand, den man nur aufsuchte, wenn es einem schlecht ging. Wenn man in Not war. Sonst hielten die Bauern, Handwerker und Kaufleute Abstand zu der alleinlebenden Frau, von der keiner wußte, woher sie kam. Obwohl sie von Zeit zu Zeit unter ihrer Einsamkeit litt, hätte sie diesen Umstand dennoch nicht ändern wollen. Denn was würde ihr sonst blühen? Ein Ehemann, der seine Frau halb totschlagen durfte, ohne daß sich diese zur Wehr setzen konnte? Oder ein Leben als Frau eines Bauern, die nicht viel besser behandelt wurde als das Vieh, die nur ein Arbeitstier war? Die jedes Jahr ein Kind gebar, ob sie nun wollte oder nicht? Hier gab es allerdings Mittel und Wege, und viele Frauen suchten Asa allein aus diesem Grund im Schutz der Dunkelheit immer wieder auf. Nein – da hatte sie es als Heilerin doch besser! Die Einsamkeit war ihr Lebensgefährte, die Stille ihr Liebhaber. Und sie hatte beide schätzen gelernt. Es gab keinen Mann, der ihr was zu sagen gehabt hätte. Keinen Mann, der sie schlug oder anderweitig mißhandelte. Und keinen Mann, der ihren Körper mißbrauchte. Während sie die Kinder zum Brunnen schickte, um frisches Wasser zu holen, mußte sie mit Abscheu daran denken, wie Sureyas Körper letzte Woche zerschunden gewesen war. Aber Sureya schien keine Schmerzen zu spüren. »Denn Männern gefällt’s halt, wenn sie richtig zupacken dürfen. Und ich bin’s gewöhnt, mir macht das nichts mehr aus!« war ihre Antwort auf Asas entsetzte Blicke gewesen, während sie sich vor Asa das Mieder aufschnürte, um gleich vor Ort das schmerzlindernde Johannisöl auf ihre geschwollenen Brustwarzen zu geben. »Das sind eben die Schattenseiten meines Handwerks, wen kümmert’s? Immer noch besser als die Schattenseiten deiner Berufung, oder? Wenn du nicht aufpaßt, kommt irgendeiner daher, und du wirst als Hexe verbrannt!« Mit der Genugtuung eines Menschen, der jemanden gefunden hatte, dem es noch schlechter zu gehen schien als ihm selbst, rieb Sureya Salz in Asas wunde Stelle: ihre Angstvor den Hexenjägern von Gottes Gnaden. Und diese Angst war durchaus begründet: Kein Heiler, kein Bader, selbst kein Arzt konnte heute vor den Inquisitoren des Papstes sicher sein. Überall im ganzen Land wurden Frauen und vereinzelt auch Männer als Hexen verurteilt und verbrannt. Jeder Tag barg für die Heilenden Lebensgefahren. Solange alles gutging, wurde man in Ruhe gelassen, aber wehe, es passierte etwas! Dann waren die Leute schnell dabei, der Heilerin die Schuld zu geben! Starb eine Mutter oder ein Säugling im Kindbett, wo man ein paar Tage zuvor bei der Geburt geholfen hatte, bedeutete dies schon höchste Gefahr!
Doch bisher war alles gutgegangen, und Asa vertraute auch weiterhin auf ihre Fähigkeiten als Heilerin. Auch hatte sie bisher immer abgelehnt, wenn jemand sie um eine Verhexung oder einen Hexenfluch bat. So war sie in den Augen der Dorfbewohner war nur ein harmloses Kräuterweiblein.
»Und ein Kräuterweib braucht seine Kräutlein. Es nützt nichts, wenn ich hier den ganzen Tag vertrödele, statt meine Vorräte wieder aufzufüllen!« Mit einem Ruck war sie auf den Beinen und schickte sich an, den mittlerweile eingedickten Benediktensaft in tönerne Karaffen abzufüllen.
8.
Derweil war in Kirchheim das Marktgeschehen schon voll im Gange. Kurz nach ihrem Eintreffen hatte Jerg den Marktvorsteher um einen Platz für Marga gebeten. Und wie es das Glück so wollte, bekam sie sogar einen der besten Plätze zugewiesen. Der Töpfer, der sonst diesen Platz Jahr für Jahr innehatte, war diesmal nicht erschienen. Dem Marktvorsteher waren Margas anmutiges Gesicht,
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