Die Silberdistel (German Edition)
irgendwelchen Höhlen in der Erde? Oder hatten sie droben im Himmel einen Unterschlupf? Der Mann auf ihr machte nicht den Eindruck, als würde er schnell zu Ende kommen. Sie überlegte kurz, ob sie ein wenig nachhelfen sollte. Ein geübter Griff hier und ein paar Streicheleien da, und schon wäre der Brunnen gesprudelt … Doch die Hure war schlau genug, um zu wissen, welcher Mann sich damit abspeisen ließ und welcher so zu seinem Recht kommen wollte. Markus Jost gehörte zur zweiten Gruppe. Und sie tat gut daran, es sich nicht mit dem Burgverwalter zu verscherzen. Sie hatte schließlich noch einiges mit ihm vor!
Auch im Nebenhaus war Leben: Asa, die Heilerin, war dabei, aus den jungen Wurzeln des Benediktenkrauts einen dicken Sud zu kochen, den sie für verschiedene Behandlungen verwendete. Immer wieder mußte Asa über die Heilkraft dieser Wurzeln staunen: Sie hatten die Kraft, alles aus Augen, Nase, Zähnen, Ohren, ja, sogar aus dem Herzen der Menschen zu ziehen, was dort nicht hingehörte. Sie heilten nicht nur die Schmerzen, sondern machten die Kranken auch frohmütig und wurden deshalb gerne eingenommen.
Ein plötzliches Geräusch schreckte sie aus ihren Überlegungen. Durch die offene Tür waren Sureyas Kinder ins Haus getreten. Verschämt drückten sich die beiden Lumpengestalten an die Wand. Beide hatten den Daumen in den Mund gesteckt. Sie starrten Asa mit großen Augen an.
Asa unterdrückte einen tiefen Seufzer. Obwohl ihr der Sinn nach allem anderen stand, als sich der zwei Nachbarskinder anzunehmen, brachte sie es nicht übers Herz, die beiden wegzuschicken. Sie wußte, was sie hierher getrieben hatte. Wenn in Kirchheim Markttag war, gehörten Sureyas Kinder immer zu den wenigen, die zu Hause bleiben mußten, während ihre Spielkameraden – viele waren es eh nicht, denn den meisten Dorfkindern war es verboten, mit Sureyas Kindern zu spielen – alle auswärts waren. Wahrscheinlich war ihre Mutter gerade damit beschäftigt, ihr täglich Brot zu verdienen, und hatte sie aus dem Haus gesperrt. Nur – wer sollte heute Sureya besuchen? Das ganze Dorf war doch wie leergefegt …
Das kam davon, wenn man sich auf einen ruhigen, ungestörten Tag freute! Laut sagte sie: »Wollt ihr dort im Türrahmen Wurzeln schlagen? Nein? Dann kommt herein und setzt euch brav auf die Bank.«
Ohne sich weiter um die Kinder zu kümmern, suchte sie eine Reihe von Tontöpfen zusammen und baute diese auf dem Tisch vor sich auf. Sie durfte gar nicht daran denken, was sie sich für heute alles vorgenommen hatte: Die ganzen Vorräte wollte sie durchsehen, eine neue Salbe für offene Beine herstellen, den Benediktensaft und auch noch die Tinktur gegen Warzen, von der nur noch ein kläglicher Rest übrig war.
»Könnt ihr mir vielleicht sagen, wieso diesen Winter fast alle von Warzen heimgesucht worden sind?« Ohne eine Antwort zu erwarten, fuhr sie fort: »Eigentlich ist das schon sonderbar: Warzen gelten als ein Zeichen des Bösen, deshalb beeilt sich auch jeder, sie so schnell wie möglich wieder loszuwerden. Mir scheint, daß da irgendjemand den Leuten übel mitspielt … hihihi! Oder werden die Menschen selbst vielleicht immer böser?«
Während Asa einen Sack voller Löwenzahnstengel in eine hölzerne Presse füllte, um so den dicklich-weißen Saft zu gewinnen, der die Warzen verschwinden ließ, hatten es sichdie Kinder auf der Bank unter Asas Fenster gemütlich gemacht und waren damit zufrieden, Asas Worten zu lauschen und ihr bei der Arbeit zuzuschauen.
»Wartet nur ab – in ein paar Tagen könnt ihr sie wieder alle sehen: Vom Müller bis zum Hufschmied, alle rennen sie und schmieren sich bei Vollmond die Tinktur auf ihre Warzen! Hihihi, selbst der Jost von der Burg droben hat ein paar von diesen schwarzen Dingern, und an einer besonders peinlichen Stelle! Für den müßte ich eigentlich eine besonders scharfe Salbe herstellen … auf daß es ihm nicht nur die Warzen wegbrennt – dem geilen, alten Bock! Aber leider wär’ das auch nicht von Dauer …«
Die Heilerin wußte, daß just an der Stelle, an der die Warze verschwunden war, binnen kurzer Zeit eine neue wachsen würde. Denn ein endgültiges Mittel dagegen gab es nicht. Doch die Leute waren schon mit einem ersten Erfolg zufrieden und schoben die neuen Warzen auf frisch begangene Sünden.
Zufrieden blickte Asa auf die Reihe von kleinen Tontöpfchen vor sich. Sie beschloß, sich eine kleine Pause zu gönnen. Nachdem sie jedem Kind einen Becher Honigwasser
Weitere Kostenlose Bücher