Die Silberdistel (German Edition)
froh war sie, endlich auch etwas zum Lebensunterhalt beitragen zu können. Einmal nicht das Gefühl zu haben, auf Lenes Wohltätigkeit angewiesen zu sein, war in ihren Augen jede Qual wert. So waren an die vierzig Stücke entstanden, die sie am Vorabend mit gemischten Gefühlen sorgfältig in den Leiterwagen gestapelt hatte. Jetzt, wo der Märzenmarkt vor der Tür stand, bekam sie es mit der Angst zu tun. Ob sich auch nur ein einziger Käufer finden würde?
Lene hatte sich im stillen vorgenommen, für heute einen Waffenstillstand einzuhalten, allerdings weniger Marga zuliebe, als um sich selbst die Freude an dem Tag nicht zuverderben. Doch Lenes gute Laune übertrug sich letztlich auf alle, so daß die kleine Gruppe unter Lachen und Geplänkel in Richtung Kirchheim marschierte. Bald darauf stimmte Jerg ein Lied an:
»Bin i net a Bürschle auf der Welt?
Spring’ i net wie a Hirschle auf dem Feld?
Auf dem Feld, im grünen Holz,
begegnet mir a Jungfer stolz …«
Marga unterbrach ihn lachend: »Jerg, das ist doch ein Tanzlied! Verwechselst du jetzt schon die Straße mit dem Tanzboden?« Doch daran schien sich niemand zu stören, die anderen summten fröhlich mit.
»Die Straße ist unser Tanzboden. Mit dir könnte ich bis ans Ende der Welt tanzen!« Bei diesen Worten begann er, Marga im Kreis herumzuwirbeln, die gerade noch den Leiterwagen an ihre Nichte abgeben konnte. Ihr Rock bauschte sich im warmen Frühlingswind. Aus ihrer geflochtenen Haarkrone hatten sich ein paar goldene Strähnen gelöst und strichen sanft um ihre geröteten Wangen. Jerg sang weiter, während er Marga tief in die Augen blickte:
»Guta Morga, Jungfer, komm se gschwend!
Will se mit mir tanza, geb se mir d’Händ!
S’Stüble auf und ab geschwenkt
und a Gläsle eingeschenkt.
Schöne Musikante, spielet auf!
Spielt mir a Tänzle obadrauf!
Aufgeputzt, eingeschnürt,
lustig dann zum Tanz geführt!«
Nach der dritten und letzten Strophe begann Jerg wieder von vorne. Während sie so vorwärts tanzten, wurden sie vonmehreren Wagen mit fahrendem Volk überholt. Bald wurde ihr Tanz vom Gefiedel einer Geige begleitet, die ein schwarzhaariger Jüngling aus seinem Karren gezogen hatte. Selbst Lene war von der Fröhlichkeit der Stunde gefesselt und klatschte wie die anderen im Takt der Musik. So ging es, bis die Stadtmauern von Kirchheim in Sicht kamen. Mit einem letzten Streich verabschiedete sich der Geiger und lief mit den Seinen voraus.
Jerg mußte lächeln. War es ihm endlich gelungen, seine Frau etwas aufzumuntern! Schon seit einiger Zeit war ihm aufgefallen, daß Marga immer ruhiger wurde. Er wußte, daß Lene ihr manchmal das Leben schwermachte, vermutete aber, daß hinter Margas Niedergeschlagenheit in Wahrheit etwas anderes steckte: ihr unerfüllter Kinderwunsch! Dabei konnte ihnen doch weiß Gott keiner vorwerfen, daß sie zuwenig dafür täten! Er mußte grinsen. ›Warum hat es dann mit einem Kleinen noch nicht geklappt?‹ ging ihm zum wiederholten Male durch den Kopf. Ihm graute es heute noch, wenn er daran zurückdachte, wie er vor ein paar Wochen Marga vorgeschlagen hatte, doch einmal Asa, die Heilerin, aufzusuchen. Puh! Wie von der Tarantel gestochen war sie hochgefahren und dann in Tränen ausgebrochen. So hatte er es seitdem nicht mehr gewagt, einen Besuch bei Asa vorzuschlagen. Aber war denn nicht für alles ein Kräutlein gewachsen? So konnte es schließlich auch nicht weitergehen! Seine Frau verzehrte sich nach einem Kind, und auch er hätte eigentlich gern einen lebenden Beweis für seine Männlichkeit gehabt. Doch genug der Grübelei. Heute war ein Tag, an dem man alle Sorgen zu Hause lassen sollte!
Während Kirchheim an diesem Tage aus allen Nähten platzte, war Taben so wie die anderen umliegenden Dörfer wie ausgestorben. Lediglich die ganz Alten und die Kranken waren zurückgeblieben. Auf den leergefegten Wegen war außer dem ewigen Konzert der zurückgekehrten Vögel nichts zu hören.
Doch der Schein trügte, denn völlig ausgestorben war Taben nicht:
Sureya lag in ihrer Hütte, und ein schwerer, erregter Männerkörper stieß immer wieder mit aller Kraft in sie ein. Auf und nieder. Dabei verlor sein dicker Bauch keine Sekunde den Kontakt mit ihrem Leib. Unter seinem Gewicht begann ihr Rücken zu schmerzen. Sureya zwang sich, an etwas anderes zu denken, während sie ihre Hände über das Hinterteil des Mannes auf und ab gleiten ließ. Wo wohl die Vögel den Winter über waren? Versteckten sie sich in
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