Die Silberdistel (German Edition)
kümmern …
Weiland hielt sein Wort. Binnen kurzer Zeit waren sie wieder auf dem Heimweg, diesmal mit einem etwas schwachen, aber glücklichen Jerg in ihrer Mitte. Wie der Pfarrer dieses Wunder zustande gebracht hatte, interessierte im Augenblick niemanden. Alle waren viel zu sehr damit beschäftigt, sich nach Jergs Wohlergehen zu erkundigen und sich immerwieder der Tatsache zu versichern, daß es ihm gutging. Weiland selbst war nicht im geringsten daran gelegen, zu enthüllen, was sich innerhalb der dicken Burgmauern abgespielt hatte. Er blieb ein paar Schritte hinter der Familie zurück. Beim Gedanken an die zurückliegende Szene mußte er schmunzeln. Besonders christlich hatte er sich weiß Gott nicht verhalten – einfach in die Schlafkammer des Burgverwalters hineinzuplatzen! Und diesen just in dem Moment in einer sehr delikaten Situation zu erwischen – welches Glück! Aber heiligte der Zweck nicht die Mittel? Sodom und Gomorrha auf Burg Taben, hatte er händeringend beim Anblick der beiden geschrien. Auf die Frage, was der Burgverwalter am hellichten Morgen mit einem unverheirateten, unziemlichen Frauenzimmer auf dem Schlaflager zu schaffen hatte, hatte Jost keine Antwort gewußt. Daß Josts Hilflosigkeit nicht lange andauern würde, war Weiland klar gewesen, und er hatte deshalb sofort zu einem weiteren Angriff angesetzt: »Da plagt sich ein armer Pfarrer in seiner ganzen Unschuld den steilen Weg zur Burg hinauf, um Fürbitte für einen armen Sünder zu tun, und was muß er dort entdecken? Eine viel größere Sünde als die, welche dem armen Tropf, den Ihr hier auf der Burg gefangenhaltet, vorgeworfen wird. Die Sünde der Lüsternheit!«
Sureya, die Weilands Anliegen und die Art, wie er dies vorbrachte, längst durchschaut hatte, konnte sich ein säuerliches Grinsen nicht verkneifen.
»Ach, der Gefangene! Was wollt Ihr denn von Jerg Braun? Der ist nur hier, um eine Lektion zu lernen«, winkte Jost ab.
»Seid Ihr Euch sicher, Burgverwalter, daß nicht Ihr eine Lektion dringender nötig hättet? In Ziemlichkeit und Anstand vielleicht …?« konterte Weiland prompt.
Und so ging es hin und her, bis Jost sich dazu entschließen mußte, seinen Gefangenen, dem er im Grunde genommen nichts nachweisen konnte, laufenzulassen.
Weiland war sich darüber im klaren, daß seine Methodeeigentlich Grunde nichts weiter als eine billige Erpressung gewesen war. Allerdings hielt sich sein schlechtes Gewissen darüber in Grenzen, hatten doch Margas erfolglose Versuche gezeigt, daß mit freundlichen Fürbitten bei Jost gar nichts zu erreichen war.
Jerg war, trotz aller Freude über seine Freilassung, für seine Verhältnisse still und gedrückt. Er überließ das Reden den anderen und fiel nur dann in deren frohes Lachen ein, wenn es von ihm erwartet wurde. Von seiner Zeit im Turm gab es nicht viel zu erzählen, Gott sei Dank! Folter und Pein waren ihm erspart geblieben, da Jost aus unerfindlichen Gründen das Interesse an ihm verloren gehabt hatte. Einzelheiten wie die verdorbenen Speisen, in denen Würmer herumkrabbelten, wollte er weder Marga noch den anderen zumuten. Und auch seine nächtlichen Kämpfe mit den Ratten, die mit unerwarteter Beharrlichkeit versuchten, ein Stück Bein oder Arm von ihm anzufressen, waren nicht für eine Erzählung im Familienkreise geeignet. Vielleicht würde er irgendwann einmal Cornelius davon erzählen, vielleicht aber auch nicht. Im Augenblick lastete etwas ganz anderes auf Jergs Gewissen: Er war Cornelius noch immer die Wahrheit über seine Reise schuldig, die schließlich auch der Grund für seine Gefangennahme gewesen war. Doch zuerst mußte er eine Möglichkeit finden, Bantelhans von seiner Freilassung in Kenntnis zu setzen …
Für beides blieb in den nächsten Tagen jedoch keine Zeit. Jergs Abwesenheit hatte große Verzögerungen bei der Feldarbeit zur Folge gehabt. Cornelius trieb alle Familienmitglieder unermüdlich zur Arbeit an. Sie standen vor dem Morgengrauen auf und kehrten erst dann vom Feld heim, wenn es zu dunkel war, um weiterzuarbeiten. Selbst während der Mittagszeit, wenn die brütende Julihitze Mensch und Tier fast um den Verstand brachte, wurde gearbeitet. Gönnten sich die Männer einmal eine kurze Ruhepause, waren sie so erschöpft, daß für Worte keine Kraft übrig war. Die Frage, was in der Zeitseiner Gefangenschaft draußen im Land alles passiert war, quälte Jerg zwar, doch blieb ihm nicht einmal die Zeit, auf einen Krug Bier in die Tabener Schankstube zu
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