Die Silberdistel (German Edition)
kann ich Euch sagen: Innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden will ich sämtliche Städtevertreter hier vor mir sehen. Wer nicht rechtzeitig erscheint, wird am nächsten Tage abgesetzt und bekommt alle Stadtrechte aberkannt. Thumb, sind die hessischen und Pfälzer Truppen schon in Stuttgart eingetroffen? Und wo treiben sich die Burg-Tabener herum? Stehen die bereit?« Nachdem beide Fragen vom Marschall mit einem Kopfnicken bestätigt wurden, fuhr Ulrich fort:
»Dann laßt die Hälfte davon nach Tübingen kommen! Es kann nicht schaden, wenn die Städtevertreter sehen, mit wem sie sich da anlegen …« Gedankenverloren blickte der Herzog in die Ferne. Als er erneut zum Sprechen anhob, war seine Stimme so kalt und grausam, daß Lamparter zu frösteln begann.
»Eines schwör’ ich hier und jetzt! Damit kommen sie nicht ungeschoren davon. Bauern und Bürger – beide werden dafür büßen müssen, daß sie einen Herzog zum Narren machten!«
Als am nächsten Tag die Gesandten der Städte den dicken Festungsmauern von Tübingen entgegenritten, bot sich ihnen ein beängstigendes Bild: Auf den schweren Mauern der Stadt patroullierten Dutzende von Soldaten, jedes Tor war mit einer Unzahl von Soldaten umstellt, vor den Fallbrücken standen weitere Soldaten Spalier. Durch die Schießscharten waren Schießprügel zu erkennen, hinter denen Schützen auf vermeintliche Feinde lauerten. Kurzum: Die ganze Stadt war bis an die Zähne bewaffnet. Ulrich hatte Tübingenbefestigen lassen, als stünden feindliche Hugenottenverbände nur noch eine Stunde Fußmarsch entfernt vor der Stadt.
Die Städtevertreter wußten ganz genau, wie sie diesen Aufmarsch militärischer Stärke zu deuten hatten: Entweder sie stimmten Ulrichs Forderungen zu, wie immer diese auch aussehen mochten, oder sie bekamen es nach diesem Landtag mit den herzöglichen Truppen zu tun.
Als sich der Landtag am 8. Juli zusammenfand, saßen dem Herzog deshalb recht zaghafte Verhandlungspartner gegenüber. So mußte es auch nicht weiter verwundern, daß die Abmachung, die noch am selben Tag ausgehandelt wurde, zwar dem Herzog ein zufriedenes Grinsen aufs Gesicht malte, die Städtevertreter jedoch mit Groll erfüllte. Doch was hätten sie machen sollen, fragte sich Obervogt Schwygkher zum wiederholten Male. Etwa dem Herzog die Stirn bieten und damit riskieren, daß noch am selben Tag Soldaten ausritten, um die Städte zu überfallen? So hatte auch er zu allen von Ulrich ausgeklügelten Vertragspunkten Ja und Amen gesagt. Von einer Anhörung der Bauern war nicht einmal mehr die Rede gewesen.
Diese Abmachung hatte mit den Forderungen der Bauern ungefähr so viel gemein wie ein verregneter Apriltag mit einem strahlendschönen Festtag im Mai! Als Schwygkher auf seinem Nachhauseritt über die Verhandlungen nachsann, ritt sein schlechtes Gewissen als ständiger Begleiter mit. Er versuchte dies zu verdrängen, indem er sich die für die Bauern errungenen Zusagen ins Gedächtnis rief: Von jetzt an wurde den Bauern ein vertragliches Auswanderungsgesetz ebenso zugesichert wie der Anspruch auf ein Gerichtsverfahren in Leib-und Lebensangelegenheiten. Des weiteren war, trotz großen Protests, festgelegt worden, daß die Fronen künftig überall gleich gehandhabt werden sollten, die Bauern ihre Äcker gegen Wildverbiß schützen durften und daß bei Jagden nicht mehr querfeldein geritten wurde. Als ob sich daran jemand halten würde! Schwygkher wußte, was beialledem in den Köpfen seiner Amtsbrüder vor sich ging: Dies würde die aufrührigen Bauern ruhigstellen, dachten sie. Er war sich da nicht ganz so sicher, doch hätte sein Veto etwas genützt? Für Stadtväter wie Jörg Gabler aus dem Kirchheimer Amt war das bäuerliche Aufbegehren eh nur die Tagträumerei von ein paar wildgewordenen Nichtsnutzen gewesen: eine neue Regierung, in der Vertreter der Bauern ein Mitspracherecht gehabt hätten … die Konfiszierung der Klöster und Stifte, um die herzöglichen Schulden zu zahlen … hatte man so etwas schon gehört? Wer wußte, was sich diese Halunken beim nächsten Male ausdachten! Doch soweit wollte es der Landtag gar nicht kommen lassen, in diesem Punkt waren sich die Städtevertreter mit dem Herzog einig. Und so waren ohne größere Diskussionen die scharfen Strafbedingungen zustande gekommen, die besagten, daß Aufrührer mit dem Tod zu bestrafen seien. Im Vergleich zu anderen Passagen war dieser Passus des Tübinger Vertrages für ihn allerdings zweitrangig. Denn das
Weitere Kostenlose Bücher