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Die Silberdistel (German Edition)

Die Silberdistel (German Edition)

Titel: Die Silberdistel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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Tier.
    »Hirngespinste sind das! Und daran wird sich auch nichts ändern, das kannst du mir glauben! Wir sind und bleiben Kettenhunde!« Cornelius spuckte die letzten Worte aus, als handle es sich um ein giftiges Gewächs.
    Jerg stand auf. Es war Zeit, zu gehen.



1.
    Seltsam, an die Wochen gleich nach Jergs Flucht konnte ich mich kaum erinnern – und das, obwohl ich noch niemals zuvor in meinem Leben so gelitten hatte. Die Ernte, eingebracht in der Gluthitze des Sommers 1514, Lenes Gesicht, das mir damals noch mißmutiger erschien als sonst, der Tag, an dem uns die Nachricht von Heinrichs Tod erreichte – alles kleine Stückchen Erinnerung. Ich hatte oft das seltsame Gefühl, als bestünde mein Leben aus einem großen Flickenteppich, den ich mit diesen kleinen Erinnerungsfetzen zusammenzusetzen versuchte. Nur das ganz große Stück aus der Mitte – das war irgendwie verlorengegangen. Der unendliche Schmerz, ohne Jerg weiterleben zu müssen, nicht zu wissen, wo er sich befand, wie es ihm erging, war so unerträglich, daß ich ihn einfach aus meinem Flickenteppich schnitt und den Rest neu zusammenzusetzen versuchte. Erst später wurde mir klar, daß dies nicht so einfach möglich war. Denn solange das große Stück in der Mitte fehlte, hatten die äußeren Teile keinen Zusammenhalt und begannen langsam, aber sicher auseinanderzufallen …
    Nachdem uns der heiße und trockene Sommer zu einer spärlichen, dafür jedoch trocken eingebrachten Getreideernte verholfen hatte, verabschiedete er sich von einem Tag auf den anderen. Dauerregen verwandelte die Straßen und Wege draußen in unpassierbare Sumpflandschaften. Drinnen begann es, nach nassem Schuhwerk und feuchter Kleidung zu riechen. Die Sonne, die in anderen Jahren das Blätterkleid der Bäume bunt werden ließ und so dazu beitrug, den Abschied des Sommers wenigstens ein bißchen zu versüßen, hielt sich in diesem Jahr hinter riesigen Wolkenbergen verborgen. Eswar, als wollte der Regen seine Versäumnisse während der heißen Sommermonate aufholen. Es goß wie aus Kübeln.
    Während wir im strömenden Regen mit der Rübenernte begannen, verbot ich mir jeden Gedanken daran, wie es wohl Jerg in der Schweiz ergehen mochte. Schweigend luden Lene und ich die Rüben auf unseren Handkarren, den Cornelius wie ein Ochs durch den tiefen, schwergewordenen Boden zog. Drei Tage lang gruben wir mit unseren Händen nach den Rüben, dann war das Feld leer. Tag für Tag gingen wir völlig durchnäßt und erschöpft nach Hause, um dort mit anderen Arbeiten weiterzumachen, die sich zu immer größeren Bergen auftürmten. In den Jahren davor war es Jergs Aufgabe gewesen, eine Rübenschütte auszuheben, in der die Knollen, vor Frost und hungrigen Tieren geschützt, unbeschadet den Winter über gelagert werden konnten. Nun, da Jerg fort war, mußte ein anderer dies erledigen. Lenes Blicken nach zu urteilen war dieser andere ich, und so begann ich, ein winterliches Grab für unsere Rüben zu schaufeln. Statt jedoch unmutig und widerwillig darüber zu sein, stürzte ich mich geradezu auf diese Aufgabe, denn auf sonderliche Art und Weise fühlte ich mich durch sie mit Jerg verbunden. Dabei fiel mir weder auf, wie die Kälte an meinen Beinen hochkroch und sie taubwerden ließ, noch wie meine Lungen allabendlich vor Erschöpfung brannten und mein ganzer Brustkorb schmerzte, als wäre darin das Höllenfeuer entfacht.
    Und dann begann der Husten. So, wie sich ein Gewitter zuerst durch leises Donnern und Rauschen ankündigt, begann auch er ganz harmlos und unscheinbar. In der Zwischenzeit war ich Meisterin darin geworden war, gewisse Dinge in meinem Leben einfach nicht wahrzunehmen. So war es eigentlich nicht verwunderlich, daß ich zuerst gar nicht bemerkte, daß ich nicht nur grünen Schleim, sondern auch dicke Brocken Blut spuckte.
    »Verflucht noch mal! Wie lange liegt das Weib schon hier und siecht vor sich hin? Sie ist dem Tode näher als demLeben! Wie taub und blind muß man eigentlich sein, um dies nicht zu erkennen?«
    Wütend fuhr Asa herum. Ihre Augen glühten wild, während sie sich daran machte, mich aus den feuchten Decken meines Nachtlagers zu schälen. Durch dichte Nebelschleier hörte ich ihr unentwegtes Fluchen. Mißtrauisch beäugte Lene, wie Asa einen Tiegel nach dem anderen aus ihrem Beutel zog und neben mein Lager stellte.
    »Deine Zaubermittel kannst du gleich wieder einpacken! Wir haben kein Geld, um solchen Firlefanz zu bezahlen. Entweder du kannst Marga so helfen

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