Die Silberdistel (German Edition)
und schüttelte sie hin und her. Mittlerweile lief auch ihm der Schweiß in Bächen über die Stirn, und er mußte blinzeln, um noch etwas zu sehen.
»Ja, ja. Ist ja schon gut! Nach den Kühen suchen sind sie! Weil dein Weib wieder einmal zu dumm war, um auf die Viecher aufzupassen!« Wutschnaubend blies Lene sich eine klebrige Feder von der Nase.
Abrupt drehte sich Jerg auf dem Absatz um und lief hinaus. Diesmal war das Glück auf seiner Seite, denn kaum war er um die Ecke gebogen, als er in nicht allzuweiter Ferne das Muhen milchschwerer Kühe hörte. Kurz darauf kamen ihm Marga und Cornelius entgegen, die beiden Ausreißer sicher in ihrer Mitte.
Jerg lief ihnen rasch entgegen, um nicht noch mehr Zeit zu verlieren. Nach einer flüchtigen Umarmung nahm er Marga die Führleine ihrer Kuh ab und zwang das Tier in einen zockeligen Trab, Cornelius tat dasselbe mit seinem Vieh. Daheim angekommen banden sie die Tiere an einen Baum und ließen sie trotz prall gefüllter Euter stehen.
Nun gab es kein Zurück mehr. Stockend begann Jerg mit seiner Beichte.
»Der Arme Konrad? Du warst mit dem Armen Konrad unterwegs?« unterbrach ihn Cornelius fassungslos.
Jerg blickte seinem Bruder ins Gesicht. »Tut mir leid, Cornelius, daß ich dich angelogen habe, aber du hättest nur versucht, mir das auszureden.«
»Und ob! Der Arme Konrad , wenn ich das schon höre! Der faule Konrad oder der freche Konrad müßte es heißen! Das sind doch alles Unruhestifter, zu faul, um ihre Fronen abzuleisten!« Aufgebracht schlug Cornelius mit der Faust auf den Tisch.
»Obwohl du keinen von ihnen kennst, verdammst du alle zu Nichtsnutzen und Unruhestiftern!« spie Jerg seinem Bruder ins Gesicht.
»So hört doch auf, euch zu streiten! Als ob es jetzt nichts Wichtigeres gäbe«, fuhr Marga dazwischen. Sie wollte nun endlich erfahren, was geschehen war.
Mit Erstaunen stellte Jerg fest, daß seine Frau die Nachricht von seiner Mitgliedschaft beim Armen Konrad weitaus gelassener hinnahm, als er angenommen hatte. »Der Arme Konrad ist gar nicht so unrecht. Damals, im Mai, als ich euch sagte, ich wäre mit den Sängern unterwegs, waren wir in Wahrheit in Untertürkheim, in der Nähe von Stuttgart. Dort fand ein großes Treffen von Geheimbündlern aus dem ganzen Land statt. Abertausende waren dabei und haben gegen den Herzog und seine Verschwendungssucht protestiert. Und davor hat es in Schorndorf ebenfalls einen Aufstand gegeben wegen der neuen Steuern. Und? Hat der Herzog sie nun zurückgenommen oder nicht?«
»Wenn der Herzog die Steuern zurückgenommen hat, dann wird er schon wissen warum! Sicherlich nicht wegen euch!« gab Cornelius brummend zurück.
»Beim Armen Konrad sind nicht nur Bauern dabei, auch Kaufleute und Städter haben mitgemacht! Schlaue Köpfe haben wir allemal. Was Herzog Ulrich sich in den letzten Jahren geleistet hat, ging einfach zu weit! Etwas mußte geschehen!«
Bevor Cornelius etwas erwidern konnte, warf Marga zaghaft ein. »Cornelius, hast du selbst nicht auch schon gesagt, die Abgaben würden immer mehr … Und weißt du nicht mehr, wie letzten Winter das ganze Dorf gehungert hat, weil die Burg im Herbst von jedem Haus den Besthaupt eingefordert hat?« Dankbar drückte Jerg Margas Hand. Statt ihm Vorwürfe zu machen, kam sie ihm sogar zur Hilfe!
»Aha, so ist das! Sein Weib scheint von der gleichen Sorte zu sein! Wenn’s dir nicht paßt bei uns, kannst du deine Siebensachen gleich zum Armen Konrad bringen«, keifte Lene aus ihrer Ecke hervor.
Mit einem unwirschen Seitenblick streifte Cornelius seinWeib. Zu Jerg sagte er: »Die Städter, ja, die können einen Aufstand machen! Die sind ja nicht auf den Schutz des Herzogs angewiesen. Die haben ihre eigenen Soldaten, um sich zu verteidigen. Wir Bauern jedoch – wir sind schutzlos! Und überhaupt – wie kommt es, daß du gerade nun mit der Sprache herausrückst, nachdem du uns monatelang angelogen hast? Da steckt doch noch mehr dahinter? Hat’s der Jost wieder auf dich abgesehen?«
Jerg winkte ab. »Der Jost! Mit dem tät’ ich fertigwerden.« Verzweifelt klärte er seine Familie nun über die letzten Neuigkeiten auf. »Ich muß weg! Noch heute nacht! Wenn mich des Herzogs Soldaten erwischen, bin ich dran. Versteht ihr nun?«
»Flüchten … aber wohin willst du denn gehen?« Schockiert starrte Marga in Jergs hilfloses Gesicht.
»In die Schweiz wollen wir. Dort sind wir sicher. Andere Geheimbündler sind schon vorausgegangen, und zwei Freunde warten in der Nähe
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