Die Silberdistel (German Edition)
Asa erinnert, was sogleich einen neuerlichen Hustenanfall zur Folge hatte. War das wirklich erst vor ein paar Monaten gewesen?
Um mich vor den neugierigen Blicken der Tabener zu schützen und mir Ruhe zu gönnen, hatte Asa einen Leinenvorhang vor mein Bett gespannt. Doch konnte ich die Neugierder Menschen selbst noch durch die Stoffbahnen spüren. Wenn Asa nicht hinschaute, passierte es sogar manchmal, daß der eine oder andere einen Zipfel des Leinentuchs ergriff und einen raschen Blick dahinter warf. Da keiner genau wußte, an welcher Krankheit ich litt, beließen es jedoch auch die Mutigsten bei diesem kurzen Blick. Womöglich hatte ja eine todbringende Krankheit von mir Besitz genommen? Zu Beginn mußte ich mich über soviel unverhohlene Neugier nur wundern. Doch im Laufe der Zeit wurde es mir lästig, und als Asa einen zweiten Vorhang quer durch den Raum spannte, war ich ihr mehr als dankbar. Zu dieser Zeit war ich tagsüber schon etliche Stunden wach und konnte den Brei, den Asa an mein Bett brachte, selbst auftunken. Was für eine Wohltat, nicht mehr wie ein Kleinkind gefüttert werden zu müssen!
Waren abends die letzten Besucher gegangen und standen keine Hausbesuche bei Bettlägrigen mehr an, setzte Asa Wasser auf, um Pfefferminztee zuzubereiten. Danach rückte sie sich einen Schemel an mein Bett, und während wir den heißen Tee schlürften, redeten wir. Am Anfang war es fast nur Asa, die redete, und ich hörte ihr zu. Doch im Laufe der Wochen, als es mir besser ging, begann sich dies zu ändern. Ich fing an, ihr aus meinem Leben zu erzählen, von meiner Kindheit auf der Alb, von meiner Arbeit als Bauersfrau, von Lenes Kindern und vielem mehr. Nur ein einziges Thema blieb unerwähnt. Dennoch war ich selbst erstaunt, wieviel ich zu erzählen hatte, kam mir mein Leben in der Regel doch recht eintönig und farblos vor. Doch Asa interessierte sich für jede Einzelheit. Aufmerksam ließ sie sich unsere Aussaatregeln erklären und wollte sich sogar unseren Reim einprägen: »Säe Korn auf Egii, Hafer und Gerste am Benedictii, säe Flachs und Hanf auf Urbanii und Wicken und Rüben auf Kiliani.«
»So viele Heilige – da muß ich aufgeben! Da bleib’ ich doch lieber ein einfaches Kräuterweiblein!«
Mit glühender Bewunderung schaute ich ihr zu, wie sie eine neue Salbe zusammenrührte. Ein einfaches Kräuterweiblein,von wegen! Ich erkannte sehr schnell, daß Asas Humor neben dem bissigen Spott über die Dummheiten der Dorfbewohner noch eine andere, eine fröhliche und unbedarfte Seite hatte. Als ich ihr von unseren Tänzen erzählte, gab es für sie kein Halten mehr. Prustend klatschte sie sich auf die Schenkel und bat mich, die Namen der einzelnen Tänze nochmals zu wiederholen: »Firlei, Ridewanz, Schwingenvurz, Heierlei und Hoppeldei.« Nun liefen auch mir die Tränen über das Gesicht, und vor lauter Lachen konnte ich nicht weiterreden.
Nur wenn das Gespräch auf die Mannsbilder kam, verstand sie keinen Spaß. Dann war sie verstockt und in meinen Augen manches Mal auch ungerecht. »Dieser Karl Saam! Wie er immer so groß und mächtig durch das Dorf stolziert!« meinte sie einmal. »Und sein Weib, die Ursula, muß sich Tag und Nacht den Buckel krumm schaffen. Und schlagen tut er sie auch, der Dreckskerl!« Ihr Gesicht hatte sich voller Abscheu zu einer starren Maske verzogen. Dabei ging es Ursula in meinen Augen noch um ein Vielfaches besser als den anderen Weibern im Dorf, die ebenfalls Tag und Nacht schaffen mußten, geschlagen wurden und dabei nicht so wohlhabend waren wie die Saams mit ihrem Saatgut. Ein anderes Mal beschwerte sie sich über den Schmied, der in ihren Augen nichts anderes im Sinn hatte, als seine drei Töchter so schnell wie möglich unter die Haube zu bringen. Was denn daran so schlimm sei, fragte ich sie. Doch statt eine Antwort zu geben, wandte sie sich von mir ab.
Dennoch: Diese Wochen bei Asa waren eigentlich die fröhlichsten und unbeschwertesten meines Lebens. Natürlich wußte ich, daß ich nicht für immer in diesem Krankenbett liegen konnte. Ich wußte, daß der Tag kommen würde, an dem ich zurückgehen mußte zu Cornelius und Lene. Mir war klar, daß ich den Teil meines Lebens mit Jerg nicht für immer verdrängen konnte. Doch saßen mir sein Vertrauensbruch und seine Unehrlichkeit immer noch wie schmerzende Stacheln im Herzen.
In der Zwischenzeit genossen Asa und ich unsere wachsende Freundschaft. Je vertrauter wir uns wurden, desto offener und ehrlicher waren wir
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