Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
auseinanderzutanzen und wieder zu verklingen. Der Junge sah auf. Vor einer der Hütten saß ein Novize mit feuerrotem Haarschopf, auf den Knien ein merkwürdiges hölzernes Gestell. Seine Finger hüpften über das Ding, zupften und streichelten und entlockten dem Instrument die wunderbarsten Klänge. Der Rotschopf schien ganz versunken, und dann plötzlich hob er mit heller Stimme an, zu singen. »Im ruhigen Wasserland, dem Land der Rosen, steht Ciarans heilige Stadt. Und die Krieger Erins liegen hier begraben und schlafen den ewigen Schlaf … «
Der Junge stand wie verzaubert. Die Choräle der Mönche, die kannte er, aber so etwas Schönes hatte er noch nie gehört. Er rührte sich nicht, wagte kaum, zu atmen, um den Sänger nicht zu stören. Der hatte schließlich sein Lied beendet und lächelte Ciaran freundlich an. »Gefällt’s dir?« Sein Irisch war schwer zu verstehen, denn er kam von den felsigen Inseln im Westen.
Ciaran nickte ehrfürchtig. »Es ist wie … Engelsmusik.«
Brendan, der Novize, lachte. Er hatte ein lustiges Gesicht mit Unmengen an braunen Sommersprossen und hellgraue Augen, die von rotblonden Wimpern umrahmt waren. »Willst du noch mehr hören?« Er begann wieder zu spielen und sang ein altes irisches Liebeslied. »Siubhail a ruin, siubhail a ruin, tabhair dam do lamh … « – komm, Liebchen, gib mir deine Hand …
»Was ist das für ein Instrument?«, fragte Ciaran am Ende des Lieds.
»Eine Clairseach, eine irische Harfe«, antwortete Brendan.
»Kann man das lernen?«
Der Novize nickte ernst. »Natürlich. Willst du’s mal versuchen?« Er nahm Ciaran, der sein Binsenbündel schon längst achtlos zu Boden geworfen hatte, auf den Schoß und zeigte ihm, wie er die Saiten mit den Fingern zupfen musste. Die Wangen des Jungen brannten vor Eifer, während Brendan ihm geduldig alles erklärte. »Es gab einmal in alter, alter Zeit einen Barden mit Namen Ossian, Sohn eines Sterblichen und einer Feenfrau, der so wunderbar sang und spielte, dass er in die Anderwelt aufgenommen wurde, ins Land der ewigen Jugend. Niemals ist sein Name auf unserer Insel vergessen worden«, endete er schließlich.
So möchte ich auch sein, dachte Ciaran. Er hatte in der letzten Stunde etwas gefunden, was ihm von nun an keine Ruhe mehr lassen würde. Und er wünschte sich nichts sehnlicher, als zu lernen, der Harfe solch wunderbare Musik zu entlocken. Ob der Novize es ihm wohl beibringen würde? Er fasste sich ein Herz. »Darf ich morgen wiederkommen?«, fragte er schüchtern.
»Wenn du willst«, entgegnete ihm Brendan von den Inseln.
Oh, und ob er wollte! Mit einem kleinen Juchzer drehte sich Ciaran um und flitzte davon. Das Binsenbündel blieb neben der Harfe im Gras liegen, der Junge hatte es völlig vergessen. Denn an diesem Tag hatte er etwas entdeckt, das ihn ein Leben lang begleiten sollte: seine Liebe zur Musik.
Sara
Galo und ich, wir waren unzertrennlich, wie Bruder und Schwester. Jeden Tag nach der Schule machten wir das Judenviertel unsicher, immer fiel uns irgendwelcher Unsinn ein. Im Sommer trieben wir uns am Rhein herum und spielten Moses, wie er das Wasser teilte. Im Winter bauten wir im Garten der Synagoge das himmlische Jerusalem aus Schnee, bis wir vor Kälte unsere Finger und Zehen nicht mehr spürten. Dann holte uns die Frau des Rabbi zu sich ans Feuer, zog uns die nassen Schuhe und Strümpfe aus und erzählte bei heißer Milch Geschichten aus der Thora. Manchmal schenkte sie uns dazu einen Bratapfel oder ein Pastetchen, oder gar ein in Honig getunktes Stück Brot. So musste es im Paradies sein, dachten wir, warm und satt. Müde und zufrieden fielen wir abends in die Betten.
Manchmal frage ich mich, warum Salo sich damals mit mir kleinem Ding abgab. Er war schließlich drei Jahre älter als ich, und Freunde hätte er genug haben können, wo sein Vater doch der reichste Zinsverleiher im Viertel war. Er hielt ihn ziemlich streng. Ich glaube, er schlug ihn oft, genau wie seine beiden älteren Schwestern, Ruth und Esther, zwei dickliche, mondgesichtige Mädchen, die händeringend darauf warteten, geheiratet zu werden. Salo war kein wilder Bub, er raufte nicht gern und hielt sich aus den üblichen Jungenstreichen heraus. Lieber las er, er dachte überhaupt viel nach, und damals schon wusste er, dass er einmal ein Rabbi werden wollte. Ich glaube, meine Gesellschaft war ihm angenehmer als die der Buben, weil ich ihm einfach zuhörte. Wenn wir zusammen waren, redete er ständig. Er erzählte von
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