Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
worden und damit im Besitz des Österreichers. Die anderen begaben sich ins Kreuzlinger Quartier. Ezzo ritt allein zurück nach Konstanz, mischte sich am Morgen unter die Arbeiter, die den Turnierplatz aufräumten, und gelangte so unbehelligt wieder in die Stadt. Am nächsten Tag herrschte in Konstanz das blanke Durcheinander. Die Flucht des Papstes hatte alle in heillosen Schrecken versetzt. Was wurde nun aus dem Konzil? Wie sollte es weitergehen? Sigismund selbst – nachdem er sich unter größter Anstrengung wieder beruhigt hatte – fühlte sich bemüßigt, öffentlich zu verkünden, dass dies nicht das Ende des Konzils bedeutete. Die Kardinäle und Vertreter der verschiedenen Länder trafen sich im welschen Kaufhaus zu einer turbulenten Sitzung. Nach erregten Auseinandersetzungen beschloss man ein Dekret, welches besagte, dass das Konzil seine Gewalt unmittelbar von Christus beziehe und seine Arbeit nicht wegen der Flucht des Papstes beenden würde. Jedermann, auch der Papst, habe dem Konzil in Glaubenssachen zu gehorchen. Sigismund versprach, Johannes XXIII. schnellstmöglich zurück nach Konstanz zu bringen. Und er verhängte die Reichsacht über den Herzog von Österreich.
Derweil feierte Barbara von Cilli im Lanzenhof ihren Sieg.
»Das Schönste ist, dass niemand zu Schaden kam«, fasste sie ihren Triumph zusammen. »Der Einfall mit diesen Schlafschwämmen war köstlich! Ein Kampf mit Toten und Verletzten zur Befreiung des Papstes hätte das Ende des Konzils bedeutet – es wäre niemals mehr Ruhe eingekehrt, und die Versammlung der Kardinäle hätte Johannes vermutlich sofort abgesetzt. So aber sind die Wachen irgendwann wieder zu sich gekommen. Sie hatten keine Erinnerung; keiner wusste, was geschehen war. Und ich konnte in aller Seelenruhe die Legende ausstreuen, der Himmel habe die königlichen Wachen mit Ohnmacht geschlagen, um den rechtmäßigen Papst aus den Klauen meines Gatten zu retten.« Sie lachte ihr glockenhelles Lachen.
»Sigismund hat so laut getobt, dass man es bis zu mir ins Steinerne Haus gehört hat«, grinste der Burggraf von Nürnberg. »Und am meisten ärgert ihn, dass seit gestern Abend überall in den Straßen schon ein Spottlied auf ihn gesungen wird … «
»Ich weiß«, die Königin summte übermütig die kleine Melodie. »Ich habe schon veranlasst, dass der Text aufgeschrieben und als Flugschrift verteilt wird.« Sie nahm eine Nuss und schob sie Friedrich in den Mund. Spielerisch biss er in ihren Finger. »Sigismund braucht mich jetzt mehr denn je«, murmelte er kauend. »Er hat heute Morgen erklärt, dass er gegen den Österreicher in den Kampf ziehen will.«
»Natürlich«, entgegnete Barbara fröhlich. »Solch ein feindseliges Verhalten kann er sich nicht gefallen lassen. Und für diesen Kampf braucht er dich, mein Freund. Ich wusste es! Was hat er dir geboten?«
Er zuckte die Schultern. »Eine Menge Geld. Aber ich will etwas ganz anderes … «
»Ach, und was?« Sie knabberte an seinem Ohrläppchen.
»Die Markgrafschaft Brandenburg«, sagte er mit Unschuldsmiene, fing aber dann doch an, zu grinsen.
Sie hob die Augenbrauen. Manchmal glaubte sie tatsächlich, Friedrich sei ihr an Klugheit überlegen. Die Markgrafschaft würde ihn jedenfalls zu einem der mächtigsten Männer im Reich machen. Denn mit ihr verbunden war das Recht zur Königswahl. »Und, hat Sigismund zugesagt?«, fragte sie.
Er küsste sie, ohne eine Antwort zu geben.
»Meinen Glückwunsch!«, sagte sie, als sie sich atemlos wieder von ihm befreit hatte. »Als Kurfürst wirst du noch viel besser zu mir passen … «
Sara
Ich erinnere mich noch genau an den Tag, als ich Jan Hus zum ersten Mal besuchte, denn es war der Tag, an dem die Flucht des Papstes aus Konstanz bekannt wurde. Alle waren in fieberhafter Aufregung. An jeder Straßenecke standen Grüppchen beieinander und debattierten heftig in allen möglichen Sprachen. Männer in dunklen Talaren eilten finsteren Gesichts in Richtung Münster. Bewaffnete Reiter galoppierten durch die Stadt, Suchtrupps formierten sich und ritten hinaus aufs Land, Boten rannten mit wippenden Hutfedern von einem Haus zum anderen.
Oswald von Wolkenstein, der wegen des allgemeinen Durcheinanders erst gegen Mittag bei mir erschienen war, ging so eilig vor mir her durch die Gassen, dass ich Mühe hatte, ihm zu folgen. Zu diesem Zeitpunkt dachte ich noch, er würde mich in irgendein vornehmes Bürgerhaus führen, zu einem adeligen Herrn aus des Königs Gefolge, der dort
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