Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
Quartier genommen hatte. Doch dann überquerten wir das Brücklein, das zur Insel mit dem Dominikanerkloster führte, und mir schwante etwas.
Der Wolkensteiner zeigte den bis an die Zähne bewaffneten Wachen ein gesiegeltes Papier, worauf sie ehrerbietig Köpfe und Hellebarden senkten. Die Eingangspforte öffnete sich, und wir traten in einen dunklen Saal mit hohem Kreuzgewölbe, in dem es nach Weihrauch roch. Ich mag den Geruch bis heute nicht, er ist aufdringlich und süß, aber für die Christen hat er etwas Heiliges. Es stach mir in die Nase, und ich musste niesen.
Derweil war ein rundlicher, älterer Mönch hereingekommen, der sich nun mit meinem Führer unterhielt. »Zustände sind das, Zustände!«, beschwerte er sich mit näselnder Stimme. »Der Papst ist auf und davon, und seine Wachleute haben heute Morgen ebenfalls das Weite gesucht. Unser ehrwürdiger Herr Abt hat sofort höchstselbst in der königlichen Kanzlei vorgesprochen, doch dort fühlte man sich für unseren Gefangenen nicht zuständig; schließlich ginge es ja um eine kirchliche und keine weltliche Angelegenheit. Immerhin schickte man einen Boten zum Bischof, um den Häftling offiziell seiner Gewalt zu überantworten. Und jetzt haben wir hier bischöfliche Wachen statt der päpstlichen! Ohnehin ist es ein ganz und gar lästerliches Ding, dass man aus unserem friedlichen Kloster ein Gefängnis gemacht hat.« Der Ordensmann blies vor Entrüstung die Backen auf, und er rang die Hände.
»Beruhigt Euch, Bruder«, tröstete der Wolkensteiner. »Ich kann Euch gut verstehen und darf Euch versichern, dass unser gnädiger Herr König ebenfalls nicht glücklich über die Lage ist. Mögt Ihr aber nun so gütig sein …?« Er machte eine auffordernde Geste. Der Mönch seufzte und setzte sich in Bewegung. Wir folgten ihm durch Räume und Treppenfluchten, durchquerten einen Innenhof mit Kreuzgang, betraten einen anderen Gebäudeflügel, und schließlich gelangten wir in den Teil des Klosters, der zum See hin lag und die Latrinen für die Ordensbrüder beherbergte. Es stank so erbärmlich, dass ich mir ein Tuch vor Nase und Mund halten musste und mir den Weihrauchduft vom Eingang zurückwünschte. Unser Führer drehte sich um. »Im Sommer ist es noch schlimmer«, meinte er entschuldigend und blieb schließlich vor einer kleinen Tür stehen, neben der wieder zwei Wachen postiert waren. Ein weiteres Mal zeigte Oswald von Wolkenstein das kaiserliche Siegel vor, worauf einer der Männer einen großen Bartschlüssel aus seinem Wams zog, mit dem er aufsperrte. Es knirschte und klickte. Der Wolkensteiner hob den Riegel und öffnete die Tür. Dann schob er mich in den dahinter liegenden Raum. »Ihr wisst, was Ihr zu tun habt«, sagte er leise zu mir. »Nehmt Euch Zeit. Ich warte hier draußen.« Und schon schloss sich die Pforte hinter mir.
Als sich meine Augen an die Düsternis gewöhnt hatten, erkannte ich eine Gestalt, die zusammengesunken auf einer Pritsche saß. Es war undenkbar, dass es ein Mensch in diesem Gestank länger aushalten konnte, aber dieser Mann war offenbar schon einige Zeitlang hier eingesperrt. Und mir war inzwischen klar, wer der Mann war.
»Guten Tag«, sagte ich, weil mir nichts Besseres einfiel.
Der Gefangene hob den Kopf. Erst sah er mich eine Weile verblüfft an – er hatte nicht mit einer Frau als Besuch gerechnet. Dann lächelte er und sagte: »Bog ti sprimi.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich verstehe kein Böhmisch, Herr.«
»Ah«, sagte er. Seine Stimme klang müde, fein und leise. Und dann fuhr er auf Deutsch fort, mit starkem Akzent und rollendem R. »Wer seid Ihr, und in wessen Auftrag kommt Ihr?«
»Man hat mich zu Euch geschickt, weil ich Ärztin bin«, antwortete ich, »Wenn ich es recht verstanden habe, ist mein Besuch der Wille des Königs. Ihr seid der Magister Hus, nicht wahr?«
»So ist es.« Er nickte. »Meine Kerkermeister kümmern sich rührend um mich. Erst schickt mir der Papst seinen Leibmedicus, und nun hat Seine Majestät Euch entsandt. Ich muss ein wichtiger Mensch sein.« Seine Augen blitzten spöttisch, aber ich konnte sehen, wie erschöpft und krank er war. Ich stellte meine Tasche auf den einzigen wackligen Stuhl im Raum und warf meinen Umhang über die Lehne. Mein Blick fiel auf den Eimer neben der Pritsche, und ich roch nun, dass sich der Gestank von Erbrochenem unter den von Kot und Fäulnis gemischt hatte. Der Mann dauerte mich. Unter solchen Bedingungen konnte ein Gesunder krank, aber niemals ein
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