Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
mehr abfließen und stauen sich. Alles ist schon sehr weit fortgeschritten.«
»Könnt Ihr so etwas denn heilen?«
»Mit Gottes Hilfe schon.« Ich hoffte, recht zu behalten. »Wenn Ihr wollt, könnt Ihr mich zum Apotheker begleiten. Ich muss eine ganze Anzahl von Arzneien herrichten lassen.«
Oswald von Wolkenstein wollte. Wir gingen zusammen zum Malhaus am Obermarkt, wo ich Schöllkraut, Mariendistel und Pfefferminze als Mischung für einen Aufguss bereiten ließ. Für den besseren Abfluss der Gallenflüssigkeit sollte ein Tee aus Kalmus, Berberitze, Andorn und Schafgarbe sorgen. Und als Wickel waren am besten Alant, Rosmarin, Quecke und Tüpfelfarn. Leider gab es zu dieser Jahreszeit keinen frischen Rettich, dessen Saft besonders heilsam gewesen wäre, aber der Apotheker hatte getrocknete Rettichraspel, die ich in Wein legen ließ. Ein Löffel davon dreimal am Tag gegeben würde hilfreich sein. Ich ließ den Apotheker die Anwendung der Arzneien genau aufschreiben und alles durch seinen Gehilfen in das Dominikanerkloster schicken.
Als alles Nötige getan war, verabredete ich mit Oswald von Wolkenstein, dass er für die rechte Anwendung meiner Arzneien sorgen sollte. Er versprach, mir baldmöglichst Bericht zu erstatten. Dann drückte er mir einen Beutel mit drei Gulden in die Hand – für meine Künste und für meine Verschwiegenheit, wie er sagte. Sobald er gegangen war, suchte ich Ciaran. Ich war ganz aufgeregt, hatte ich doch nun den Mann gesehen und gesprochen, dem er dieses geheimnisvolle Manuskript übergeben wollte, das ihn bedrückte. Schließlich fand ich ihn auf dem Fischmarkt, wo er in Jankas Auftrag gerade einen Korb Aale kaufte. »Ich muss dir was erzählen«, sagte ich atemlos. »Du errätst nie, wem ich heute begegnet bin!«
Ciaran lachte, stellte seinen Fischkorb ab und küsste mich übermütig. Als er dann hörte, wo ich gewesen war, wurde er ernst. Er zog mich in eine stille Gasse, wo wir uns auf eine steinerne Bank setzten. »Mein Gott, Sanna, das ist die Gelegenheit.«, sagte er. »Wenn sie dich wieder zu Jan Hus holen … «
»Ja, wenn ...«
» … dann nimmst du Wyclifs Schrift heimlich mit hinein und gibst sie ihm«, ergänzte er.
»Nur langsam«, erwiderte ich. »Ich will dir ja gern helfen, aber ich weiß doch nicht, ob ich noch einmal ins Dominikanerkloster gerufen werde.«
Wir beschlossen also abzuwarten, bis Oswald von Wolkenstein wieder zu mir kam. Alles hing davon ab, ob es dem böhmischen Magister trotz der neuen Behandlung schlecht genug ging, dass ein weiterer Besuch bei ihm in der Haft nötig war. Fast war ich um Ciarans willen versucht, mir zu wünschen, dass meine Medizin nicht wirklich anschlüge, mein Patient nicht so schnell gesund würde. Adonai, Onkel Jehuda hätte sich ob solcher Gedanken im Grabe herumgedreht! Ich schämte mich sofort dafür und bat den Kranken insgeheim um Verzeihung. Er hatte mich beeindruckt, siech, schmutzig, verlaust und übel riechend, wie er in seinem Verlies gesessen hatte. Sanftmütig war er mir vorgekommen und gut, gar nicht wie einer, der Gott lästerte und ein schlechter Mensch war, wie man es sich über Ketzer erzählte. Aber vielleicht verstand ich als Jüdin ja auch gar nichts davon, und es ging mich eigentlich auch nichts an. Dennoch, irgendetwas Besonderes war an diesem Mann, dass ich mich so zu ihm hingezogen fühlte. Ich beschloss, alles zu unternehmen, damit er wieder gesund würde. Das war das Wichtigste. Und wenn wir dazu noch die Möglichkeit bekamen, ihm Ciarans Schrift zu übergeben, würde ich das Meinige dazu tun.
An diesem Abend saßen wir in einer kleinen Schänke in der Salmannsweilergasse. Irgendwann gegen Mitternacht stieß Ezzo zu uns, fröhlich und ausgelassen wie selten. »Wo warst du eigentlich die letzten zwei Tage?«, fragte ich neugierig. »Pirlo und Finus wollten mit dir eine neue Schnurre einüben und haben dich nirgends finden können.«
Er setzte sich zu uns und winkte nach einem Krug Wein. »Ei, ich habe einen kleinen Ausflug gemacht«, erwiderte er gut gelaunt. »Man kommt ja nur noch selten aus der Stadt.«
Mehr war aus ihm nicht herauszubekommen. Ich runzelte die Stirn. In letzter Zeit sprach Ezzo für meinen Geschmack ein bisschen zu viel in Rätseln.
»Hast wohl dein Liebchen getroffen, hm?« Ciaran stieß den Freund mit dem Ellbogen in die Seite, dann hob er seinen Becher: »Auf die Schönheit der Frauen!«
»Auf die Freundschaft der Männer!«, entgegnete Ezzo.
»Auf die Liebe!«, sagte ich
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